HOTEL KUMMER

 

Der Namensgeber des Hauses, der bayrische Kummer Michl, war sicher ein glücklicher Mensch und der Architekt, der Kaiser Edi, bestimmt auch. Für einige der Gäste war der Name aber wie ein Echo, das ihnen ihre Zukunft entgegenschickte. Sie hatten ihn hinter sich gelassen und wussten nicht, dass er sie bald schon wieder erwartete – der Kummer.

 



Bereits 1867 reisten die ersten osteuropäischen Frauen in der Hoffnung auf eine neue Existenz und bessere Zukunft nach Südamerika. Für sie ging es oft ums reine Überleben. Zehntausende Frauen kamen in den darauffolgenden Jahren mit Hilfe von polnischen Frauenhändlern nach Argentinien – einige von ihnen wissend, andere von falschen Versprechungen verführt. Auf ihrer Reise machten die Männer mit den Frauen Halt im vornehmen Wiener Hotel Kummer, wo der Traum von einem besseren Leben noch greifbar war.

In Südamerika angekommen wurden ihnen schließlich ihre Papiere abgenommen und ihrer Identität entzogen, wurden sie in Bordellen untergebracht. Für ihre helle Haut konnten höhere Preise verlangt werden. Bis 1930 kamen auf diesem Wege zehntausende osteuropäische Frauen nach Südamerika. Besonders Buenos Aires, als prosperierende Hafen- und Einwanderungsstadt, wurde schnell zum Hauptumschlagplatz für den Frauenhandel in Südamerika. 

Für die Recherchearbeiten zum Projekt »Hotel Kummer« reiste ich 2015 nach Buenos Aires, wo ich schließlich auf Filmmaterial traf, das zu den ersten Bewegtbildaufnahmen in Argentinien zu Beginn des 20. Jahrhunderts zählt: ein Aufklärungsfilm über Syphilis; die Geschlechtskrankheit, die hauptsächlich Prostituierte zu dieser Zeit erlitten. Die Motive der hier eingereichten Bilder stammen aus diesem Film. Digital festgehalten ist der Moment an dem die Motive durch Schablonen auf fotosensibles Material übertragen wurden. Durch zunehmende Lichteinstrahlung verblassen sie Minute um Minute mehr, bis sie schließlich gänzlich unsichtbar werden.

Die Fotogramme wurden im Frühjahr 2016 in einer Gruppenausstellung in Frankfurt am Main gezeigt. Das Projekt setzt sich als Kurzfilm fort, der durch die Hessische Filmförderung, der Beauftragten der Bundesregierung für Kunst und Medien und Stiftung Zurückgeben gefördert wird. Die Fotogramme wurden in der Ausstellung mit Glasscheiben abgedeckt; in blassen bis kräftigen Blaugrau- und Rottönen lagen sie wie ein Teppich oder eine flache Skulptur auf dem Boden. Man musste sich ihnen nähern, um sie herum gehen, um sie zu erfassen. Die Körper der abgebildeten Frauen sind kopflos, bleiben gesichtslos. Vom selbstbewussten Präsentieren des eigenen Körpers kann nicht die Rede sein, vielmehr meint man – selbst durch die Brechung durch Medium und Zeit –, noch ein schamhaftes Zurückweichen vor dem Akt der Zurschaustellung in Form einer Filmaufnahme zu spüren. Das Arrangieren auf dem Boden macht die Figuren trotz der schützenden Glasplatte verletzlicher, denn der Abstand zu den Füßen der Besucher ist gering. Belassene und nicht entfernte Fußabdrücke im alten Estrich vergegenwärtigen diese Gefahr. Durch das Auflösen der Motive verschwindet gleicherweise das harte und wie hier zu ahnende, mitunter tödliche, Geschäft mit dem weiblichen Körper wieder aus unserem Bewusstsein. Dieser Akt des Unsichtbarwerdens lenkt die Aufmerkamkeit des Betrachters auf die Vergangenheit sowohl als auch die Gegenwart dieses ungesehenen Kapitels des Sexgewerbes.