Pop Up-City Christchurch – oder: Die Festivalisierung der Baulücke

 

Baufällige Stadtteile werden oft mit Kriminalität, Armut und anderen negativen Attributen verbunden. Dass es auch anders sein kann, beweist die neuseeländische Metropole Christchurch, die mit partizipativ organisierten Zwischennutzungen und Kreativprojekten für oftmals ausgelassene Stimmung in der Abrisszone sorgt.

 

Vor einer kleinen buntbemalten Holzhütte sitzt eine junge Frau und schraubt an einem Fahrrad. Gleich daneben: ein ähnlich anmutendes Häuschen, in dem ein Klavier auf musikalische Besucher wartet. Am anderen Ende des mit Schotter und Rollrasen ausgelegten Platzes spielen Kinder zwischen Retro-Sportgeräten, während die Eltern es sich auf dem „Grandstandium“, einer portablen Mini-Tribüne, bequem gemacht haben. 

Ein Schild über der Minigolf-Bahn im Zentrum dieses Multifunktionsortes gibt Aufschluss über die Hintergründe der kuriosen Ansammlung an Freizeitaktivitäten: Wir befinden uns am ehemaligen Standort des Crown Plaza-Hotels, das durch ein Erdbeben zerstört wurde. Hier war bereits kurz nach der Beseitigung der Hotel-Ruine das Projekt „The Commons“ ins Leben gerufen worden, das die temporäre Bespielung der Baulücke zum Ziel hatte. Was auf Initiative des Vereins GapFiller mit wenigen Attraktionen begann, entwickelte sich bald zu einem von vielen „hubs of transitional activity“, zwischenzeitlichen Gemeinschaftsorten, wie man sie in Christchurch inzwischen an beinahe jeder Straßenecke findet. 

 


Zwei Erdbeben und ein Neustart

Das einstige Hotel ist nur eines von vielen Gebäuden, die in den letzten fünf Jahren abgerissen wurden. Grund dafür sind die beiden schweren Erdbeben, welche die leidgeprüfte Innenstadt von Christchurch in den Jahren 2010 und 2011 heimsuchten und fast 80 Prozent der Bauwerke im Business District beschädigten. 

 

Auch wenn die meisten Sperrzonen inzwischen wieder begehbar sind und die grundlegende Infrastruktur restauriert wurde - funktionstüchtige Gebäude sucht man im Stadtzentrum immer noch vergebens. Um das urbane Leben dennoch so schnell wie möglich zurück in die Innenstadt zu bringen und der Tristesse der allgegenwärtigen Zerstörung entgegen zu wirken, initiierten zivilgesellschaftliche Interessensgruppen deshalb bereits wenige Monate nach den Beben erste Events und temporäre Installationen – und kreierten so einen Trend der Baulücken-Bespielung, der Christchurch in eine prototypische Hochburg des adaptiven Urbanismus verwandelte. 


„You are standing on common ground“ 

Die Initiative GapFiller, die hier zu den Pionieren zählt, experimentiert mit verschiedenen Formen der öffentlichen Aktivierung und setzt diese partizipativ mit der lokalen Community um. „Wir gingen zu den Landbesitzern und fragten sie: ‚Können wir euer Land nutzen?‘ Und sie sagten ja“, erzählt Coralie Winn, die Gründerin von GapFiller, von den Anfängen der Initiative im Jahr 2011. „Wir hatten kein Geld, wollten aber zeigen, was man alles mit Baulücken machen kann.“ Fünf Jahre und an die 100 Projekte später ist das Interesse der Stadtbevölkerung am Mitmachen immer noch groß – und GapFiller hat sich als fixer Bestandteil der lokalen Kreativszene etabliert. 

Vom Wunsch nach belebten öffentlichen Räumen beflügelt, haben sich auch andere zivilgesellschaftlich organisierte Initiativen die Bespielung der baufälligen Innenstadt zum Ziel gesetzt: Community-Projekte wie „Greening the rubble“ oder „Plant Gang“ sorgen mit temporären Parkanlagen und Gemeinschaftsgärten für „etwas Grünraum inmitten des deprimierenden Gebäudeschutts“, wie „Greening the Rubble“-Initiator Rhys Taylor erklärt, während sich das Künstlerkollektiv „The Social“ in Konzerten und Tanz-Performances mit den Orten auseinandersetzt. Und sogar ein „Festival of Transitional Architecture“ wurde nach den großen Beben in der zerstörten City veranstaltet, um besonders gelungene Baulücken-Projekte zu feiern.

 


Vom kooperativen Filmgenuss zum Freiluft-Shoppingcenter

Diese Inszenierungen verfolgen vor allem eine Absicht: die Verbindung der Menschen mit Christchurch neu aufzubauen und dabei die ursprüngliche Lebendigkeit der Stadt wiederherzustellen. Nicht zufällig spielen daher der Gemeinschaftsgedanke und die kollektive Bearbeitung des öffentlichen Raums eine zentrale Rolle.

Ein besonders beliebtes Projekt ist der 2012 initiierte „Dance-o-Mat“ von GapFiller. Eine umfunktionierte Waschmaschine für die Stromversorgung sorgt mit Lautsprechern und einer Tanzfläche ausgestattet für eine Party-Stimmung, der sich nicht einmal Prince Charles bei seinem Christchurch-Besuch entziehen konnte. Gegen Einwurf einer 2-Dollar-Münze haben Tanzbegeisterte die Möglichkeit, ihren MP3-Player an besagte Waschmaschine anzuschließen und sich für die nächsten 30 Minuten ihrer Musik hinzugeben. Im Laufe der Jahre haben auch einige Tanzgruppen den „Dance-o-Mat“ für sich entdeckt und ihn mit regelmäßigen Tanz- und Workout-Sessions zu einem musikalischen Zentrum der „Pop Up-City“ Christchurch gemacht.

Ebenfalls sportlich geht es im Rad-betriebenen Open Air-Kino zu, das 2012 am ehemaligen Standort einer Fahrrad-Fabrik errichtet wurde. Die Kinobesucher erzeugen dabei den für die Filmvorführung notwendigen Strom selbst, indem sie ihre Räder an eine eigens dafür produzierte Anlage anschließen und gemeinschaftlich in die Pedale treten. Gezeigt werden übrigens ausschließlich Filme mit Fahrrad-Bezug.

Und auch die Stadt leistet einen Beitrag zum temporären Wiederaufbau: In der so genannten „Re:start Mall“, die mit Geldern aus dem stadteigenen Erdbeben-Fonds als Ersatz für ein beschädigtes Shopping Center errichtet wurde, kann man in farbenfrohen Containern diversen Einkaufsgelüsten nachgehen – und „ein Fünkchen Fröhlichkeit inmitten umzäunter Ruinen“ genießen, wie so mancher Besucher feststellt.

 


Ein Leben nach der Baulücke?

Wie viel den Bewohnern Christchurchs an ihren Pop-Up Projekten liegt, zeigt sich auch in ihrem Einsatz für deren Erhalt. So sollte die „Re:Start Mall“ bereits 2014 einer permanenten Bebauung weichen, aufgrund massiver Proteste von Bürgern und ansässigen Unternehmen wurde sie aber lediglich umgesiedelt. 

Selbst von Seiten der Wissenschaft wird für die Erhaltung der Pop Up-Projekte plädiert, da sie sich positiv auf den Gemeinschaftssinn der Bewohner auswirken und bei der Verarbeitung des erdbebenbedingten Traumas helfen. Das stellt zumindest der deutsche Dozent Andreas Wesner in seiner Studie über gemeinschaftsbasierte Freiraumprojekte fest. „Das Projekt ist ein Stimmungsaufheller, es hilft uns, unsere Energie für die Entwicklung neuer Dinge einzusetzen und uns so weniger hilflos zu fühlen“, stimmt auch Rhys Taylor mit Blick auf seine Initiative „Greening the Rubble“ zu. Somit leisten die Community-Projekt einen wichtigen Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeit – und haben so vielleicht die Chance, einen längerfristigen Eindruck im Stadtbild zu hinterlassen.