Sex in der Stadt – Nur wo?

Viele suchen Sex. Ein Viertel der Österreicher ist laut einer Studie von PARSHIP Single und somit, zumindest statistisch gesehen, auf der Suche nach Sex. Schaut man sich in der Bim, im Club oder Park um, machen die Menschen aber vor allem eines: Sie starren auf ihre Smartphones und jagen Pokémons oder wischen auf Tinder herum. Schnöde moderne Welt.
Wo ist es in Wien noch möglich, einen klassischen Aufriss zu machen? Die meisten Leute, die ich fragte, antworteten mir nur: »Wenn ich das wüsste, wär’ ich nicht mehr Single.« Ich habe aber trotzdem ein paar gefunden, die das wissen und bereit sind, ihre Aufrissplätze zu teilen.

Amina Steiner im Impact Hub

Für die Bloggerin Amina Steiner ist der perfekte Ort, um Leute kennenzulernen nicht die Bar, der Club oder die WG-Party, sondern der Coworking Space. Konkret das Impact Hub im siebten Wiener Gemeindebezirk. Zwischen Kristalllustern, Holzplatten, Oma-Sofas und Ikea-Möbeln treffe ich Amina. Sie erzählt: »Im Coworking Space oder bei Networking Partys ist es für mich gleich mal einfacher in ein Gespräch zu kommen, weil man ähnliche Interessen hat. Man ist mit den Leuten auf einer Wellenlänge, das mag ich.« Amina ist erst 20 Jahre, sieht aber älter aus. Sie hat den Lifestyle und die Ausstrahlung, wie es für eine Bloggerin üblich ist: gut gestylt, die perfekten Haare und eine offene Art. Amina lacht viel, wenn sie erzählt.

Generell sei es in Wien schwierig neue Leute kennenzulernen, oder sich gar jemanden aufzureißen. »Die Leute haben echt Angst. Sie trauen sich nicht einmal allein zu Networking Events zu gehen, das finde ich schade.« Ihren Ex-Freund lernte Amina bei so einem Event kennen. Er wartete beim Eingang auf sie und ließ sie erst gehen, als sie ihm ihre Nummer gab. Da wurde also sie aufgerissen, weil: »Ganz ehrlich, wenn ich wirklich Ahnung hätte, dann wär ich nicht die ewige Katzenlady ohne Katze», sagt sie und lacht.

Die erste Erkenntnis: Bei der Arbeit ist Aufriss möglich, aber eher im Passiv.

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Felix und Markus im Schaumweinhäuschen in Hietzing

Nächster Halt: Hietzing. Ich steige aus der Straßenbahn und die Stimmung ist fast kitschig. Die Häuser und der Wienfluss sind in orangefarbenes Licht getaucht, alles glitzert, die Sonne geht gerade unter. Die sogenannte »bessere« Wohngegend. Ich gehe Richtung Altgasse, um mich mit Felix und Markus zu treffen. Beide sind 25 Jahre, heißen aber eigentlich anders. Sie sprechen mit mir nur unter der Bedingung, anonym zu bleiben. Es wäre ihnen zu peinlich, wenn ihre Aufrissgeschichten öffentlich werden würden. Ich treffe die beiden im Schaumweinhäuschen. Sie sind in Hietzing aufgewachsen und sprechen dabei von »ihrer Hood«. Stolz erzählen sie mir, dass in diesem Lokal schon Falco Stammgast war und auch Heinz Fischer im dreizehnten Bezirk ins Gymnasium ging.

In der Bar ist es schummrig. Wieder ein Luster, der den Raum erleuchtet, aber nicht hip, sondern schlicht alt. Wir sitzen an der Bar, rauchen und bestellen Bier, später auch Underberg Schnaps. »Hier hat sich in den letzten 30 Jahren nichts verändert«, erzählt mir Markus, der die letzten fünf Jahre in der Bar gekellnert hat. »Erst seit einem Jahr haben wir WLAN«, sagt er und lacht. Im Schaumweinhäuschen haben die beiden ihre Jugend verbracht und so einige Aufrisse verzeichnet. Ein Erlebnis wurde zum Running Gag im Freundeskreis. »Ich wurde als Kellner hier andauernd angesprochen. Oft wollten die Mädels nur gratis Alkohol, aber manchmal auch mehr.« Noch ist daran ja nichts peinlich. Moderne Zeiten – auch das starke Geschlecht darf aufgerissen werden. »An einem Abend nach einer total langen und anstrengenden Schicht flirtet mich eine Blonde andauernd an. Nach meiner Schicht sind wir dann gemeinsam in die Schlossstube hinüber auf ein Bier gegangen und vergnügten uns dann in unserem Rausch auf dem WC.« Markus fasst sich, während er mir davon erzählt, immer wieder an den Kopf, als könnte er selbst nicht glauben, was da damals alles passiert ist. Noch immer nicht peinlich – jetzt aber, die Pointe: Sie war 40, höflich geschätzt, und Markus 20. Cougar, MILF – aha, naja. »Wir sind das Dorf der Stadt. Jeder kennt hier jeden und es gibt keine Hemmschwelle.«

Erkenntnis zwei: In Hietzing ist der Aufriss einfach und schnell und die Peinlichkeit wartet beim Billa.

Frederika Ferková über die alte Pratersauna und das Donau

Mit der U4 fahre ich von Hietzing wieder rein in die Stadt zum Schottenring. Ich treffe Fredi am Donaukanal gleich neben dem Flex. Unter uns fließt braunes Wasser. Der Beat aus dem Club schallt nach draußen. Der Wind weht ihr durch die blonden Haare. Manchmal fallen sie ihr ins Gesicht. Eigentlich heißt die 24-jährige Frederika Ferková, jeder nennt sie aber nur Fredi. Denn eine so quirlige und direkte Person wie sie, kann eigentlich keinen so ernsten Namen wie Frederika tragen. Wenn sie vom Fortgehen und Aufreißen erzählt, dann gestikuliert sie wild mit ihren Händen und Armen. Man muss wissen, dass Fredi zu den Menschen gehört, die in Wien am besten über das Nachtleben Bescheid wissen. Sie gründete das Künstlerkollektiv hausgemacht und gehört zu den wenigen Veranstalterinnen in Wien. Auch beruflich schreibt sie vor allem über Musik, Fortgehen und Saufen. Den besten Aufriss-Spot gibt es laut ihr aber heute leider nicht mehr: »Die alte Pratersauna war ein reiner Aufreißschuppen, auch ich bin da hingegangen, um Typen aufzureißen. Mit all den dunklen Ecken war dort Wunderbares möglich«, sagt sie und seufzt.

Hört man ihr zu, dann klingt da ein Bild von Wien durch, von dem sonst nur in Berlin die Rede ist. Geht es nach ihr, dann sind die Wiener nicht verklemmt und unfreundlich, sondern offen und, ja, fast »happy people«. Herrlich zum Aufreißen würden sich auch die von ihr veranstalteten hausgemachten Partys eigenen: »Ich weiß allein von fünf Paaren, die sich auf einer unserer Partys kennengelernt haben. Sogar ich lern trotz all dem Stress öfters jemanden kennen.«
Den besten Tipp gibt sie am Schluss des Gesprächs: »Wenn man aufreißen will, schlag’ ich vor, dass man sich ansäuft und einen Rausch bekommt und dann geht doch immer was … mindestens »1 nicer Talk«. Mit der Fußnote, dass sie es gar nicht leiden kann, wenn Typen sie auf ein Getränk einladen möchten: »Da werde ich total aggressiv und halte meine feministische Rede.«

Erkenntnis drei: Klassische Partys, ja, darauf musst du heute erst mal kommen.

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Lisa Edi über den Queen Club


Die Fotografin Lisa Edi hat ihren heutigen Freund am Gürtel im Queen Club angesprochen. Der Club ist während der Woche ein Puff und am Wochenende kann man ihn für Partys mieten. »Ein Freund von mir hat dort Geburtstag gefeiert unter dem Motto: »Sei nicht bieder, komm im Mieder«. Lisa trug Glitzerhotpants, erinnert sie sich. »Es war eine Mischung aus Pyjama- und Burlesque-Party und die Leute tanzten auf den Tischen und an den Poledance-Stangen und besprühten sich mit Schlagsahne.« Dort sah Lisa einen Typen in einem pinken Einteiler mit einem weißen Rippshirt darunter, erzählt sie mir. Sie ging zu ihm rüber und sprach ihn auf sein Outfit an. Anschließend schmiedeten sie Pläne mal gemeinsam Musik zu machen. »Dazu kam es irgendwie nie, aber heute sind wir zusammen. Ich glaube, dass solche Crossdress Partys eine eigene Dynamik entwickeln und so die Hemmungen fallen.«
Zum Schluss meint sie noch: »Aber ganz ehrlich, ich glaube es reicht schon, wenn du lang genug im 13A herum fährst, um jemanden kennenzulernen.«

Erkenntnis vier: Schräg ist gut, aus sich raus gehen, etwas Mut zum Bad Taste oder zur Ehrlichkeit.

Alex Riemekasten über die Bar Cserni

Für Alexander Riemekasten, 29, funktionierte das Aufreißen oder jemanden kennenzulernen nicht so einfach. Er hat als Single viel ausprobiert. »Ich will nicht sagen, dass ich verkrampft nach einer Partnerin gesucht habe, aber auf jeden Fall intensiv.« Dann sah er eine Anzeige eines Speed-Dating Anbieters und entschied sich, das einfach mal auszuprobieren. »Dann sitzt man halt der ersten Dame gegenüber und hat keine Ahnung, was man sagen soll.« In der Bar Cserni gegenüber der Börse hat er zehn Frauen aus fünfzig getroffen, schildert er mir kopfschüttelnd. Weil weder für ihn, noch für das Cserni, das heute ein Möbelgeschäft ist, war es ein Erfolg. Wir sitzen im Café Stein.
Er kommt direkt von der Arbeit, trägt Anzug, braune Krawatte und trinkt Pepsi. Während er mir von seiner Single-Zeit erzählt, schaut er mir die ganze Zeit über tief in die Augen. Ich frage ihn, wie das Speed-Dating genau funktioniere. »Während man einer Dame gegenüber sitzt, muss man sich Notizen machen und Ja oder Nein ankreuzen. Es war alles recht gezwungen und ich hab mich nicht wohl gefühlt.« Ein paar Tage danach bekomme man eine Mail und wenn die andere Person auch ein »Ja« angekreuzt hat, dann bekomme man ihre Mail Adresse, so Alex. »Eine hätte mir dort schon gefallen, aber die war an einem anderen Typen interessiert, das hab ich gleich gemerkt«, erzählt er und blickt dabei für ein paar Sekunden nur auf seine Pepsi. »Ich mag meine Stadt Wien sehr, aber sie ist nicht die offenste.« Eine Frau habe Alex noch nie angesprochen oder um ein Date gebeten. Heute ist er aber nicht mehr Single, sondern seit April mit seiner Freundin zusammen, die er über Tinder kennengelernt hat. »Ich hab dann zu Tinder gewechselt, weil ich da mehr Möglichkeiten hatte und es einfacher erschien, jemanden kennenzulernen. Single sein ist manchmal hart. Ich empfehle jedem, viel mit seinen Freunden auszugehen und damit meine ich nicht, besoffen zu sein. Sonst lernt man erst recht wieder niemanden kennen.«

Erkenntnis fünf: Speed-Dating ist wirklich sowas von 1999.

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Peter über Wiener Würstelstände und das Travelshack


Nächster Halt, Ströck am Schottenring, weil die Aufriss-Location, von der Peter erzählt, gibt es ebenfalls nicht mehr. Grauer Anzug, darunter ein hellblaues Hemd. Die ersten beiden Knöpfe des Hemds sind offen, eine dunkel gefasste Brille definiert das Gesicht, Dreitagebart. Peter, 26, heißt, wie auch das Mädchen, von dem er mir erzählen wird, eigentlich anders . »Ich habe einen Ruf zu verlieren«, sagt er und muss über diese Aussage selbst lachen. »Nein, aber ich will ihr und auch mir mit dieser Geschichte nicht schaden.«

Alles passierte vor drei Jahren. Damals war vor der Pratersauna noch an beinahe jedem Wochenende eine endlose Schlange. »Wir dachten uns, dass wir unseren Würstelstand-Trick anwenden.« Peter und sein Freund taten so, als würden sie sich ein Würstel kaufen und stellten sich anschließend weiter vorne in der Schlange wieder dazu. Ein altbewehrter Trick, man spare sich mindestens `ne halbe Stunde, so Peter. »Zwei Mädchen motzten uns dann auf Englisch an, dass wir uns gerade vorgedrängt hätten. Die eine war blond, die andere brünett. Beide total heiß.« Die beiden kamen mit Peter und seinem Freund ins Gespräch. »Ich mochte die Blonde sofort, weil sie so frech war und mich direkt auf das Vordrängen ansprach. Sie erzählten mir, dass sie aus Tschechien waren«, erinnert er sich.

Sie unterhielten sich gut. Plötzlich hieß es Einlass-Stopp. Die Mädels wollten ins Travelshack. Peter und sein Freund kamen natürlich mit. Schon im Taxi sagte Peter zu seinem Freund, wie heiß er die Blonde nicht fände und was er mit ihr im Bett gerne tun würde. Im Travelshack tranken sie den Shot »Hiroshima«. Der sprudelte. Peter und sein Freund fanden Gefallen daran, dass sie über die Mädels reden konnten, wie sie wollten, da diese nichts verstanden. »Wir waren so besoffen und geil, es war echt schlimm. Heute ist mir das peinlich. Wir sprachen sogar darüber, wer welche mit nach Hause nehmen würde. Plötzlich begannen die Mädels dann, an der Stange zu tanzen und die Blonde leckte der Brünetten sogar über die Brüste«, erinnert sich Peter. »Das war echt irre, wir waren so scharf auf sie.« Plötzlich verabschiedeten sich die Tschechinnen aber und gingen. »Wir waren total verwirrt. Sie hatten uns angeteasert und plötzlich waren sie weg.«

Die Nacht war vorbei, aber irgendwie hatte Peter es geschafft, Olgas Facebook-Namen zu bekommen. Nach ein paar Wochen war dann aber plötzlich Schluss mit Schreiben. »Ich fragte sie, warum. Plötzlich kam ihre Antwort in perfektem Deutsch zurück.« Daraufhin rief Peter sie an und sie sprach Deutsch auf muttersprachlichem Niveau. »Ich war so perplex, fuck!«, meint Peter heute. »Olga hat aber nur gelacht über uns und meinte, wir hätten uns eine Abreibung verdient.« Ein paar Monate später traf Peter Olga wieder. Ganz zufällig. Wieder bei einem Würstelstand, dieses mal beim B72. An diesem Abend gingen sie gemeinsam nach Hause. Und das ging noch drei Jahre lang so, bis sie es beendeten. »Ich glaube, es ist echt egal, wo man sich in Wien trifft, die Situation muss einfach passen. Und man trifft sich in Wien ohnehin immer wieder. Die Stadt ist ja ein Dorf.«

Die letzte, die große Erkenntnis: Aufreißen ist ganz offline und ohne App noch möglich und Wien ist überall ein Dorf, zumindest überall dort, wo es Alkohol gibt.

 

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Eva Reisinger (24) arbeitet als freie Autorin in Wien. Sie ist gerade nicht auf Aufriss und hat deshalb Menschen mit mehr Expertise befragt. Wenn sie nicht für stadtform schreibt, veröffentlicht sie ihre Geschichten im NEON Magazin, NIDO, 1000things.at oder schreibt auf ihrem Blog verlorenejugend.at über die Sorgen ihrer Generation.