Sport und Spiele

 


«Just do it», «Create your own game», «Ignite your city»— Ein Sportverständnis verändert die Stadt 

 


6. Juni 2015— das größte Spiel des europäischen Klubfußballs gastiert in der deutschen Hauptstadt, Juventus Turin und der FC Barcelona treffen im Finale der UEFA Champions League aufeinander. Vor und während des Sportgroßereignisses, das geschätzte 180 Millionen Menschen weltweit live verfolgen, richten sich alle Augen der Sport- und Fußballwelt auf die deutsche Hauptstadt. Allein 80.000 Fußballtouristen besuchen die Stadt und unzählige Medienvertreter transportieren Eindrücke, Stimmungen und neueste Informationen zur anstehenden Begegnung in alle Ecken der Welt.

In Berlin wird in diesen Tagen jedoch nicht nur auf dem Rasen des Olympiastadions gespielt. Denn mit dem großen Spiel kommen auch die großen Spieler in die Stadt: Sony, Gazprom und andere Sponsoren der Großveranstaltung buhlen auf einem anlässlich des Finales errichteten Festivalgeländes vor dem Brandenburger Tor mit thematisch bezogenen Angeboten um die Aufmerksamkeit der Besucher und der versammelten Fußballöffentlichkeit. Abseits des symbolträchtigen temporären Sportortes stechen die Aktionen zweier Sportartikelhersteller besonders hervor. Die US-amerikanische Sportmarke Nike richtet das Finale eines selbstorganisierten europäischen Straßenfußballturniers auf dem Dach des Bikini-Hauses am zoologischen Garten aus. In der NikeFootballX Arena treten Teams aus ganz Europa auf einem hochmodernen LED-Fußballfeld an, das mit aufwendigen Videoanimationen auf dem Platzboden das Spielgeschehen unterstreicht. Der deutsche Sportartikelhersteller adidas errichtet zeitgleich einen neuen Markenraum auf dem Gelände der Uferhallen-AG in Wedding, einem Kulturzentrum, das die Gebäude der ehemaligen Zentralwerkstatt der Berliner Verkehrsbetriebe günstig an Künstler vermietet. Unter dem Namen The Base befinden sich dort jetzt mehrere Fußballfelder, ein Basketballplatz und eine Bar, untergebracht in einer umgebauten Werkshalle und offen zugänglich für interessierte Freizeitsportler. Der Pachtvertrag läuft mindestens für anderthalb Jahre. Beginnt mit den großen Spielern nun das große Spielen? 

Effektvoll inszenierte Sporterlebnisse wie diese, ob von temporärer oder dauerhafter Natur, sind in der Markenkommunikation von Sportartikelherstellern wie Nike und adidas mittlerweile viel mehr die Regel als die Ausnahme. Fußball auf den Dächern Berlins, Tennis in den Straßenschluchten von New York oder Basketball im Museum in Paris – in ihren Interventionen aktivieren die Sportmarken regelmäßig öffentlichen oder ungenutzten Stadtraum in den Großstädten dieser Welt und codieren ihn auf sportliche Art und Weise neu. Gleichzeitig wandeln sich die Distributionsräume der Sportartikelhersteller. Die Stores werden vielerorts um Umkleidekabinen, Duschen, Fitnessgeräte und sogar ganze Sporthallen erweitert und ermöglichen so ein komplettes Markenerlebnis. Von den Herstellern organisierte sportliche Stadtteilwettkämpfe, urbane Schnitzeljagden in Laufbekleidung und regelmäßig in der Stadt trainierende Jogging- und Fitnessgruppen sind darüber hinaus Indikatoren dafür, dass die Sportmarken in ihren Angeboten die spielerische Ader des Sports sowie die Stadt als dessen neue alte Bühne für sich entdeckt haben. Sie durchbrechen mit ihren Aktionen den alltäglichen Trott und positionieren den Sport und die Marke als außergewöhnliches Moment. Die Markenräume werden dabei zu Ausgangspunkten der sportlich-spielerischen Eroberung des öffentlichen Stadtraums. In dieser Entwicklung lässt sich ein Paradigmenwechsel erkennen: Die Sportartikelhersteller sind zu Anbietern des Sports, zu kulturellen Performern und zu urbanen Akteuren geworden, die Stadt als Gesamtes damit zu einem einzigen großen potenziellen Sportraum. 

Die sportliche Eroberung des urbanen Raumes lässt sich jedoch nicht nur physisch, sondern auch figurativ in den Werbespots und Kampagnen der Sportartikelhersteller beobachten. Stadt und Urbanität sind als Motiv und Motivraum eine Konstante in der Kommunikation der Sportmarken, können in den Slogans und sogar in den Produkten selbst wiedergefunden werden. Nike, adidas und Reebok veröffentlichen regelmäßig so genannte City Packs oder City Collections, die sich im Designprozess von der Gestalt und Typologie bestimmter Städte inspirieren lassen. In der aktuellen Fußballschuhgeneration von adidas kann man beispielsweise den KRZBRG X15 finden, der laut dem Hersteller in Form und Farbe das Wesen des Berliner Stadtteils Kreuzberg verkörpert. Doch nicht nur in den Produkten lässt sich die Überlagerung von Marke und Stadt beobachten. Städtische Identitäten werden mit den künstlich konstruierten Identitäten von Werbestars verwoben, Sportler und Mannschaften zu Repräsentanten und Symbolfiguren ihrer Heimatstädte stilisiert. Ob LeBron James (Nike) für Cleveland, Derrick Rose (adidas) für Chicago oder der BVB (PUMA) für Dortmund— die Marken implementieren regelmäßig die Persönlichkeit eines Athleten oder eines Clubs, damit ein Stück weit auch das Markenlogo selbst, in die DNA der Stadt. Darüber hinaus ist in den Kampagnen häufig der städtische Raum Schauplatz des sportlichen Geschehens. Er ist dabei nicht nur bloße Kulisse, sondern Interaktionsraum, der durch seinen spezifischen Charakter zur kreativen Aneignung anregt. Auch in der Werbung wird die Stadt zur Spielwiese der Sportler. 

Die Marke greift also gleich auf mehreren Ebenen nach der Stadt. Urbanes wird in der Markenkommunikation dekontextualisiert und in Verbindung mit der Marke und dem Sport in wechselnden Zusammenhängen rekontextualisiert. In der ständigen Präsenz der Stadt offenbaren die Sportartikelhersteller ihre immanente Abhängigkeit von ihr und dem Motiv der Urbanität. Denn Marke braucht Stadt. Sie ist in der Vermittlung ihres Selbstverständnisses auf die Reichweite und die trendbestimmende Strahlkraft der globalen Metropole und ihrer subkulturellen Bewegungen angewiesen. Sie sucht das Gefühl von Größe, Geltung und Bedeutsamkeit, mit der sie ihr Logo verknüpfen kann. Die Stadt ist darüber hinaus der Ort, an dem die sportliche Selbstinszenierung des «kreativ-konsumtorischen Subjekts» stattfindet und damit die Bühne, auf der das Logo mit dem sportlichen Kontext verschmilzt.   

Die ständige Präsenz des städtischen Raumes in der Markenkommunikation leitet sich darüber hinaus aus dem übergeordneten Sportverständnis der Sportartikelhersteller ab. Sport im Markenuniversum ist in erster Linie Möglichkeitsraum der Selbstverwirklichung. Er verspricht dem Sportler Individuation und Personwerdung, vermittelt Empowerment. Die Sportartikelhersteller fordern von ihm dazu Einsatzwillen, Entschlossenheit und sportliche Kreativität. Das Motivationspathos appelliert an das gesellschaftliche Individualisierungsbegehren und schleicht sich so in den Prozess der Identitätsbildung des Konsumenten ein. Der von den Marken vermittelte Sport bietet ein auf sportlichen Werten basierendes, ethisches Grundgerüst. Die Just do it-Mentalität wird dabei zur Philosophie, deren Werte auch auf andere Lebenssituationen übertragbar sind. Dieses freie, unkorrumpierte und selbstbezogene Sportideal braucht in der Folge jedoch einen ebenso unabhängigen und unkorrumpierten Motivraum, in dem der Sport stattfinden kann. Die Marke findet ihn im öffentlichen Stadtraum. Ohne die Authentizität der Straßen der Großstadt kann sie ihr bedeutungsschweres Image und ihre moralisch aufgeladene Botschaft nicht an den Konsumenten bringen. Just do it funktioniert auf dem Laufband im Fitnessstudio nicht mal halb so gut. 

Nike, adidas, New Balance, PUMA, Under Armour, Asics, Reebok— sie alle gleichen sich in ihrer Beziehung zu Stadt und können in dieser Hinsicht als urbane Sportartikelhersteller bezeichnet werden. In dieser Abhängigkeit erklärt sich die ständige, in den Kampagnen wie auch in den Interventionen identifizierbare Suche der Sportartikelhersteller nach den authentischen Räumen der Stadt, um dort als frei und heterotop wahrgenommene Sporterlebnisse entstehen zu lassen. Die Sportartikelhersteller bedienen sich in ihrer räumlichen Aneignungsstrategie der flexiblen Methoden aktueller Bewegungen der urbanen Renaissance. So lässt sich auf den ersten Blick sogar die situationistische Idee im Vorgehen der Sportartikelhersteller wiederfinden. Doch obwohl Parallelen in der Methodik und Zielsetzung auszumachen sind, unterscheidet sich die übergeordnete Intention von Sportartikelherstellern und Situationisten jedoch deutlich. Wo die Situationisten in der «erlebnisintensiven Stadt» eine architektonisch-gesellschaftliche Idealvorstellung sehen, versuchen die Sportmarken diese Form des urbanen Raumes «nicht als gesellschaftliches, utopisches Projekt, sondern als konsumierbares Simulakrum» zu errichten. Die Stadt ist in beiden Vorstellungen Ort des Abenteuers, der Abwechslung und des Erlebens, jedoch schwebt im Falle der Sportartikelhersteller die Idee der Stadt als ultimativer Ort des Konsums über allem. Just do it, aber bitte in unseren Schuhen. Die vermeintliche Überraschung ist geplant, kontrolliert, rational und reproduzierbar. Hier enttarnt sich der rebellische Akt des freien und ungehemmten Spielens an unkonventionellen Orten als bloße Inszenierung. Nicht nur die markeneigenen Räume, sondern die ganze Stadt wird im Handeln der Sportartikelhersteller mehr und mehr zu einem «updatable social catwalk». Auch die vermeintliche Emanzipation des Individuums führt letztendlich zu einer neuen Form der Abhängigkeit, in der sogar die eigene Identität auf Konsum und der kontinuierlichen Zurschaustellung der Markenlogos basiert. Eine Widersprüchlichkeit in der Markenkommunikation, die man als Kunde von Nike und anderen Herstellern aushalten können muss. 

Die Sportmarken werden in Zukunft noch stärker in den Stadtraum drängen, physisch wie figurativ, und als Anbieter spielerischer, direkt erfahrbarer Sporterlebnisse expandieren. Die Sportmarken wirken dabei nicht nur als Katalysator von urbanen Kommerzialisierungsprozessen, sondern befeuern auch den Transformationsprozess des städtischen Sportverhaltens, das zu immer größeren Anteilen in informellen Sporträumen stattfindet. Des Weiteren konkurrieren die künstlich erschaffenen Erlebnisräume automatisch mit der bestehenden Sportinfrastruktur und verändern die Ansprüche an eben diese. In der Folge verändern sie die grundlegende Logik der Städte, in denen immer häufiger temporäre, erlebnis- und konsumorientierte Räume statt dauerhafter Aufenthaltsräume entstehen. Die «fortwährende Neuinszenierung von Stadt» wird zum handlungsbestimmenden Leitbild. Die Markenstadt realisiert sich in ihrer zunehmenden Eventisierung. Wie reagiert die Planung auf diese Entwicklung? Muss sie die Spielregeln noch einmal überdenken? 


Luka Frey, 23, hat Urbanistik an der Bauhaus-Universität Weimar und der Universidad Nacional Autónoma de México in Mexiko-Stadt studiert. Mit seinem Projekt courtculture.de versucht er urbanen Sportlern eine Plattform zum Ideenaustausch und zur gegenseitigen Inspiration zu bieten. Aktuell lebt und arbeitet er in Barcelona. 

Bildunterschrift: Der Jumpman thront über dem Palais de Tokyo in Paris: «What was once just a store becomes a landmark, and our purchase the souvenir.»