ZU VIELE STEINE IM WEG 


von Mag. Magdalena Augustin

 


Zur Bespielung des öffentlichen Raumes von unten  - 

Potenziale und Grenzen alternativer Kulturproduktion in Wien

Die sogenannte „Festivalisierung“ der Städte scheint ein unaufhaltbares Phänomen zu sein, zumindest in europäischen Ballungszentren werden Straßen und Plätze immer öfter als Eventlocations herangezogen.  Davon kann man halten was man möchte, Tatsache ist, dass der öffentliche Raum dazu da ist, um genutzt und gestaltet zu werden,  im Idealfall mit der Konsequenz Menschen und Nachbarschaft zusammenzubringen.  Doch welche AkteurInnen dürfen Teil jener Gestaltung und Bespielung des öffentlichen Raumes sein? 

 

Wien ist anders...

Die Stadt Wien versteht sich als kulturelle Hochburg mit reichlich Veranstaltungsangeboten und vermittelt das Bild einer offenen und unternehmerischen Metropole wenn es um öffentliche Events geht. Ob Pop-,  Mai- oder Donauinselfest, die BewohnerInnen der Stadt haben mehrmals pro Jahr  die Möglichkeit hochwertige Kulturveranstaltungen ohne Eintritt oder Konsumzwang zu besuchen. Wer Musik und Kultur genießen möchte kommt hier also durchaus auf seine Kosten. Wer jedoch Motivation hat selbst etwas auf die Beine zu stellen und Initiative zu ergreifen,  braucht entweder gute Kontakte und geschäftliches Geschick, ausreichend Durchhaltevermögen und starke Nerven oder eine gute Portion „kreativer Frechheit“ und Glück (wie z.B. bei illegalen Tanzveranstaltungen an verlassenen Orten).  Vor allem im Bereich der alternativen und elektronischen Musikszenen werden schnell Grenzen aufgezeigt, bei dem Versuch diese Jugendkulturen auf die Straße (oder in den Park) zu tragen. Sei es wegen der Müllproduktion, der Lärmbelästigung oder aufgrund von Sicherheitsbestimmungen, es finden sich immer Argumente weshalb simple Open Air Tanzveranstaltungen nicht abgehalten werden können. Es ist verständlich, dass Sicherheit und die Bedürfnisse unbeteiligter Personen manchmal Priorität haben. Allerdings schließt dieser Umstand nicht aus,  sich darum zu bemühen, engagierten Menschen entgegen zu kommen um ihre Projekte realisieren zu können, vor allem wenn die Nachfrage vorhanden ist. Genau hier ist der Knackpunkt, der die Stadt Wien immer wieder ins Zentrum der Kritik vieler VeranstalterInnen geraten lässt. Initiativen zur vielfältigen Nutzung der öffentlichen Grünflächen und Plätze sehen sich mit einem riesigen Bürokratie- und Finanzapparat konfrontiert, der vor allem nicht-profitorientierte Veranstaltungen schwer realisierbar macht. Hinzu kommt die distanzierte Position der zuständigen BehördenvertreterInnen, die keinen Bezug zu Underground-Jugendkulturen herstellen können. Zwischen alteingesessenen BeamtInnen und jungen, vielleicht unerfahrenen, kreativen Geistern ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe kaum möglich. Nicht zu vergessen, der ständig begleitende Unterton der bürokratischen Trägheit und gefühlten „Unwillkommenheit“ des unternehmerischen Engagements. Im Rahmen der Recherche wollte ich mir selbst ein Bild des verrufenen Wiener BeamtInnentums machen, das mit allen Werkzeugen ausgestattet ist um Selbstinitiativen effektiv auszubremsen. Nach einem Besuch im Eventcenter der Stadt Wien (Auskunftstelle der MA36, unter anderem zuständig für den Bereich Veranstaltungswesen) hat  sich jener Eindruck bei mir unwiderruflich manifestiert. Ich konnte mich glücklich schätzen ein paar Minuten des vielbeschäftigten Beamten zu erhaschen, um dann zu erfahren, dass jeder Fall spezifisch untersucht werden muss, aber generell alles sehr kompliziert und schwierig ist  und wenn laute Musik im Spiel ist, die Chancen sowieso ganz schlecht stehen. Ich erhoffte mir eine Beratungsstelle, geblieben ist jedoch vielmehr der Eindruck einer Ab-beratungsstelle, es sei denn man hat Fragen zu einzelnen Paragraphen oder dem eigenen Antrag. Junge Menschen mit guten Ideen erhalten hier jedenfalls nicht die nötige Unterstützung um ein Projekt weiterhin entschlossen zu verfolgen. Trotzdem schaffen es viele Initiativen im öffentlichen Raum sichtbar zu sein. Dabei helfen manchmal Schlupflöcher in den Vorschriften oder auch sehr wohlwollende BeamtInnen. Vereinzelte Party-OrganisatorInnen können eben auch von funktionierenden Koproduktionen mit der Stadt Wien berichten.  Strukturell dominiert jedoch die Strategie des Hürdenlaufs, welche so manchen ehrenamtlichen VeranstalterInnen die Luft ausgehen lässt. 


Widerstand im 4/4 Takt

In den letzten Jahren entstehen in Wien immer mehr Initiativen und Events, die jene Problematik im alternativen Kulturbereich thematisieren und sich für eine stärkere Nutzung der urbanen Freiräume einsetzen. Vor allem Paraden verbinden seit Jahrzehnten das Vergnügen und Feiern mit dem Demonstrieren von Jugend- und Musikszenen, die damit ihre Sichtbarkeit einfordern. Seit 2007 zieht beispielsweise die Free Parade durch Wien und demonstriert  jedes Jahr mit elektronischer Musikbegleitung für Auflockerungen im Veranstaltungswesen, soziale Gerechtigkeit und Vielfalt.  Seit 2005 findet die Mayday Parade am 1.Mai als Demonstration gegen die Prekarisierung der gesellschaftlichen Arbeitsverhältnisse statt. Eine Thematik, die vor allem im Kunst- und Kulturbereich äußerst präsent ist, denn viele Aufgaben werden unbezahlt erledigt und erfordern außerdem viel Zeit. Dieser Umstand macht Kulturproduktion zu einer Tätigkeit, die sich nicht jede Person „leisten“ kann.  Bisher zweimal wurde ebenfalls im Mai zur Peace Parade eingeladen, eine Initiative verschiedenster Kulturschaffender für mehr Freiräume und das Recht selbstbestimmt zu leben.  Sie alle eint die Musik als Begleitung des Protests und als Ausdruck des Bedürfnisses nach mehr Mitgestaltung im urbanen Geschehen.  Immer öfters verbinden AktivistInnen jener Szenen ihre Präsenz und Verwirklichung im öffentlichen Raum auch mit politischen Forderungen. Open Air Partys werden manchmal in Form von politischen Kundgebungen abgehalten und bewegen sich damit in einem Rahmen, der es erlaubt auf vergleichbar unbürokratische Weise legale Veranstaltungen abzuhalten. Die inhaltlichen Forderungen ergeben sich dabei aus dem Kontext und  verlangen nach mehr kostenfreien und niederschwelligen Möglichkeiten zur Nutzung und Mitgestaltung des öffentlichen Raumes. Erfahrungen mit Standkundgebungen und Sound Systemen hat z.B. die Initiative „Öffentliche Träume“, ein Zusammenschluss mehrerer Veranstaltungskollektive der elektronischen Musikszene. Über das Veranstalten und die praktischen Erfahrungen entwickelte sich die Idee einer gemeinsamen Kampagne, schließlich kämpfen alle VeranstalterInnen gegen die selben Windmühlen an.  Zusammen mit der IG Kultur und dem Kollektiv „Tanz durch den Tag“ wurde außerdem eine Petition ins Leben gerufen, um die gemeinsamen Anliegen der drei Gruppen an die Landesregierung heranzutragen.  Nicht zuletzt ist die Realisierung ihrer Veranstaltungen von den rechtlichen Bestimmungen und Bemühungen der Stadt abhängig, und manchmal auch deshalb zum Scheitern verurteilt. Tanz durch den  Tag veranstaltete mehrere Jahre Open Air Kulturevents auf Wiens Grünflächen. Was spontan und im kleinen Kreise begann wurde immer größer und erforderte eine Professionalisierung, die wiederum mit finanziellem Aufwand verbunden war. Im Jahr 2015 waren die Anforderungen der Behörden zu groß, als dass die Gruppe zeitlich und finanziell mithalten konnte. Schließlich war ein Hauptanliegen der VeranstalterInnen der kostenfreie bzw. auf Spenden basierende Zugang zu ihrem Kunst- und Musikevent.  Kurzerhand wurde die „T(r)aumparademo“ organisiert, eine Kombination aus Demonstration und Parade, die auf künstlerische und teils performative Art und Weise auf die Schwierigkeiten im Umgang mit dem Öffentlichen Raum aufmerksam machte. Auch der Verein im Tüwi Kulturbeisl auf der Türkenschanze konnte eine groß angelegte Musikveranstaltung im gegenüberliegenden Park nicht wie geplant durchführen.  Die zuständigen Magistrate waren offenbar nicht gewillt den Park für studentische und alternative Kreise zur Verfügung zu stellen. Zu groß war die Angst vor  einem Müllproblem, Lärmbelästigung  oder einer nötigen Straßensperre.  Zusätzlich lief den VeranstalterInnen die Zeit davon, es lässt sich schwer planen wenn die zuständigen Beamten der MA36 wiederholt nicht erreichbar sind oder immer wieder darüber diskutiert wird, ob nun der 18. oder der 19. Bezirk für die Sache zuständig sei. 

Empowerment statt Top-Down Strategie

Die IG Kultur Wien unterstützt seit Jahren die Realisierung von Veranstaltungen im öffentlichen Raum und weiß sowohl über Möglichkeiten als auch Probleme in diesem Zusammenhang bestens Bescheid. Neben persönlichen Beratungen gibt es ausreichend Informationsmaterial und  Vernetzungsmöglichkeiten für alle, die kulturelle Interventionen planen.  Jedoch beobachten die MitarbeiterInnen der IG Kultur immer wieder wie Kulturschaffenden die Energie ausgeht, weil sie permanent unter prekären Verhältnissen arbeiten, an den Schreibtisch gefesselt sind  oder keinen Raum mehr zur Verfügung haben.  Um erneut und mit klaren Forderungen an die Verantwortlichen in der Kulturpolitik  heranzutreten wurde die Kampagne „Eine andere Kulturpolitik #istnoetig“  aufgezogen. Im Forderungskatalog finden sich  konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik wie beispielsweise die Anhebung des Kulturbudgets für die freie Szene auf 10% (statt 2,5% wie bisher geschätzt) der Gesamtausgaben der Stadt Wien im Kulturbereich.  

So schön und sauber der öffentliche Raum Wiens auch sein mag, er verträgt es noch öfter und vielfältiger bespielt zu werden.  Die Stadt muss lernen die Leinen etwas lockerer zu lassen und vor allem Jugendlichen die Teilhabe am öffentlichen Raum zu ermöglichen. Schließlich ist es als positive Entwicklung zu bewerten, wenn emanzipatorisches Engagement, kollektives Handeln und künstlerischer Gestaltungswille an der Basis der Stadt zum Ausdruck kommen, um womöglich zu ganzen Szenen heranzuwachsen. 

Wer Lebensqualität sagt, sollte auch „Kultur von und für Alle“ sagen! 


Zitate aus Gesprächen mit VertreterInnen der genannten Initiativen:

Ad Fußnote 5) Gespräch mit L.F. von der Initiative „Öffentliche Träume“ am 19.04.2016:
„Durch die bürokratischen und finanziellen Hürden werden VeranstalterInnen nahezu dazu gedrängt den Weg über das Versammlungsrecht zu gehen. Dadurch besteht aber auch die Gefahr, dass einzelne Gruppen die inhaltlichen Forderungen nur halbherzig transportieren.  Insgesamt geht es aber auch um die Verhältnismäßigkeiten in der Stadt. Wieso kann der Heldenplatz einen Tag lang mit Flugzeugen und Zelten vom Bundesheer vollgestellt werden und gleichzeitig wird uns vermittelt, dass es praktisch keine Veranstaltungen auf Grünflächen geben darf? Was es braucht sind kompetente Vermittlungspersonen der Behörden, geeignete und genehmigte Flächen für Open Air Veranstaltungen und bürokratische Wege, die Spontanität zulassen.“ 

Ad Fußnote 6) Gespräch mit F.B. vom Kollektiv „Tanz durch den Tag“ am 21.04.2016:
„ Bei der Planung unserer Veranstaltung scheint die Behörden vor allem das spartenübergreifende Kulturangebot verwirrt zu haben. Was nicht in die Schublade passt oder durch mehrere Paragraphen abgesteckt ist hat die Flexibilität der Verwaltung überfordert. Plötzlich sahen wir uns mit unzähligen SpezialistInnen konfrontiert, die alle unterschiedliche Meinungen, Interessen und Aufgaben hatten. Hinzu kamen die immer größer werdenden Kosten, bei gleichzeitiger Ungewissheit darüber, ob das wetterabhängige Event überhaupt stattfinden würde. Im schlimmsten Fall hätten ca. zehn Personen über Monate hinweg unbezahlt zahlreiche Anforderungen abgearbeitet und diese Bedingungen machen es schwer die Motivation aufrecht zu erhalten. Es erscheint absurd, dass eine Veranstaltung im öffentlichen Raum (wo nur eine geringe Platzmiete anfällt) aufgrund der Infrastrukturkosten im Endeffekt um einiges teurer ausfällt als eine Indoor-Veranstaltung. “ 

Ad Fußnote 7) Gespräch mit W.G. vom „Kulturverein Tüwi“ am 22.04.2016:
„Während unserer langjährigen Aktivität haben wir immer wieder schikanöses Verhalten der Behörden und BeamtInnen erfahren. Auch wenn sich meistens ein Weg zur Realisierung bestimmter Ideen findet, ist es insgesamt ein mühsames Unterfangen Räume, Straßen oder Parks für die kreative Nutzung zu beanspruchen. Im Prinzip verlangten wir nie die  Unterstützung der Stadtverwaltung, es würde schon reichen wenn sie uns nicht im Weg steht.“ 


Ad Fußnote 8) Gespräch mit Willi Hejda von der „IG Kultur Wien“ am 20.02.2016:
„In Wien herrscht teilweise eine Verbotskultur, die sich darin äußert, dass das Vergnügen von 1000 Menschen weniger wert ist als eine Person, die sich beschwert. Es braucht Zwischenlösungen um Räume fürs Feiern zu ermöglichen und Infrastruktur wie Stromkästen, Pavillons, Toiletten etc. Ähnlich der Vergabe von Grillplätzen könnten geeignete Flächen für Freiluftveranstaltungen vergeben werden. Kulturveranstaltungen werden oft im großen Maßstab angelegt und von oben mit Organisationsteams besetzt. Daneben haben es Strukturen, die langsam heranwachsen und selbstorganisiert ganze Szenen aufbauen weitaus schwieriger. Es sollte ein Setting aufgebaut werden, dass allen BewohnerInnen der Stadt Kultur machen ermöglicht, und nicht nur das Konsumieren. Viele Kulturschaffende geben nach langen Bemühungen oft auf, wandern ab oder sind gezwungen sich primär um Lohnarbeit zu kümmern. Die Stadt verliert durch ihr bürokratisches Vorgehen viel an Potenzial  und Spontanität.“