Das Remmidemmi einfangen

 

von Johannes Suitner

 

Seien Sie dabei, drehen Sie mit uns eine Runde! Wir feiern die Stadt und die Stadt feiert sich. „Krawall und Remmidemmi“ hat „Abriss“ nicht nur als besserer Leitspruch filmreißender Partygänger_innen abgelöst. Auch urbanerorts regiert nicht mehr die haussmanneske Abreißen-Neubauen-Utopie. Vorrang genießt schon länger die aufmerksamkeitsökonomische Bespielung des Vorhandenen zur Bespaßung mit Vorzüglichem. Spannung, Spiel und Schokolade!

 

Die Stadt als Überraschungsei Urbanophiler? Ja! Schön verpackt, trotz vieler Falten. Beliebt, obwohl oft angedeptscht. Gut für die Seele, schlecht für’s Herz. Und was sich drinnen verbirgt, weiß nur, wer sich ins Innerste vorwagt und sich Zeit nimmt es zu entdecken. Und tatsächlich: Es sind gleich drei Überraschungen auf einmal!

Überraschung eins: Das Schoko-Ei Stadt ist nicht mehr funktionierende Lebenswelt, sondern multifunktionale Erlebniswelt. Was die geheime Schallplatten-Gin-Bar und das vegane Urban-Gardening-Musik-Fest für den Hipster, sind der hypereffiziente Shopping-Mall-Bahnhof und der kreative Co-Working-Campus für die Tagespendlerin. Die planerische Leitlinie hierzu ist simpel: Nur, was sich zelebrieren lässt, lässt sich auch realisieren. Und so wird alles zum Erlebnis: Jedem Platz seine Ethno-Food-Box,  jeder Straßenbahndurchsage ihre Eurovisions-Signation. Alles beworben mit Stadtmarketing-Slogans, die uns mehr Lebensqualität zusprechen, als wir jemals ertragen könnten. Wenig subtil wird da der Wettbewerbsdruck im Kampf um Tourist_innen transportiert: „Wien. Jetzt oder nie!“ Klingt wie ein James Bond. Und das ist kein Zufall. Wer sich nicht mindestens als explosiver, vollbusiger Reiseblockbuster verkauft, verschwindet von der globalen Landkarte, so die Verkaufsexpert_innen. Das Image hat die Substanz als Kernelement der Stadt eben schon längst verdrängt. So konstatiert David Harvey schon 1989. Die Stadtsoziologen Häußermann und Siebel nennen das „Festivalisierung der Stadtpolitik“. So ähnlich hat es auch Guy Debord, Mitbegründer der Situationistischen Internationale, vor einem halben Jahrhundert gesehen und die Spektakelgesellschaft beschrieben: Kaufen, nicht machen. Glauben, nicht wissen. Sein, nicht werden. Was zählt, ist der Moment. Das Erlebte wird schließlich zum Zweck der Selbstdarstellung und Selbsterwichtigung geteilt: Geltungskonsum vom Feinsten. Celebrate good times, c’mon!

Überraschung zwei: Wer festivalisiert, ästhetisiert. Soll heißen? Wer die Stadt zum Spielplatz macht, setzt damit um, was er oder sie selbst für schön und lustig hält. Blöd, wenn darüber nur wenige entscheiden dürfen, Schönheit und Humor aber immer noch im Auge der Betrachtenden liegen. Entsprechend oft halten sich urbane Erlebniswelten an die einfache Formel von Angebot und Nachfrage. Und entsprechend aufgeweicht und austauschbar ist das Remmidemmi allerorts. Einkaufsmeilen mit Palmenhain, Baustellen mit Aussichtsturm, Skylines mit Architekturstars. Es muss ja breitenwirksam sein. Das Schoko-Ei, es schmeckt überall gleich. Der Wirtschaftsgeograph Allen J. Scott erklärt, dass Städte seit den 90ern derart transformiert werden, dass ihre Ästhetik die Sprache einer globalen kapitalistischen Kulturindustrie spricht. Brot und Spiele als Tarnung kapitalistischer Urbanisierung also. Derweilen zerfleischen sich Urbanist_innen unentwegt über die Frage nach der Schönheit der Stadt – und übersehen, dass sie aus fragwürdiger Expertise heraus ihre subjektiven Vorstellungen des Schönen zur verbindlichen Vision für alle Gestaltungsfragen erklären. Immer wieder werden so bedeutende Symbole konstruiert, die jene ausgrenzen, die sich nicht damit identifizieren können oder wollen. Wer etwa behauptet, das Riesenrad in Wiens ikonenhafter Außenwerbung sei nicht repräsentativ für die kulturelle Vielfalt der Stadt, muss sich was anhören. Dass in derart eindimensionalen Bildern aber auch ein bisschen vom politischen Glück der Rechten liegt, darf angenommen werden. Man sollte am ökonomischen Pflaster eben nicht mit Symbolen arbeiten, die heute noch mehr als zur Zeit ihrer Entstehung die realen gesellschaftlichen Verhältnisse ignorieren. Und wenn, dann darf man sich nicht wundern, dass diese Bilder am politischen Parkett missbraucht werden, um ebendiese konstruierte Nationalkultur gegenüber einer bunten Gesellschaft zu verteidigen.

Dritte Überraschung: Geneigte Schokojunkies wissen es längst. Das Ei hat seinen Preis. Es ist schier unleistbar geworden. Die Bambini aus der Fernsehwerbung wollen schließlich bezahlt werden. Und doch will oder kann man nicht auf die Vorzüge des Urbanen verzichten. Sobald jedoch „Party everywhere“ zum obersten Mantra städtischen Wandels wird, beginnt ein problematischer Prozess. Die kulturelle Besonderheit verschiedener Grätzl wird zur USP und schließlich zum käuflichen Gut erklärt. Und so kommt es, dass man heute nicht mehr in Wieden, Ottakring oder Donaustadt wohnt, sondern im Freihausviertel, am Brunnenmarkt und der Seestadt – allesamt konstruierte Orte des urbanen Remmidemmi. Das Stadtteilfest „Soho In Ottakring“ durfte eine solche Instrumentalisierung vor Jahren erleben, als Developer ihre überteuerten Sanierungsobjekte um die Ecke mit dem Spruch „Wohnen in Soho“ anpriesen. Eine gelungene Falschinterpretation zum Zweck der Mehrwertgenerierung. „Moment!“, sagen Sie jetzt. Das betreffende Quartier ist immerhin Vorzeigebeispiel der Wiener Stadterneuerung und wird auch mehrheitlich gut angenommen. Klar. Wer will auch im clever Doppelkeks leben, wenn’s ein Ü-Ei sein kann? Eh niemand. Nur haben halt manche Glück im Spiel mit der Stadt, die anderen haben Luft und Liebe. Wie also lässt sich dem begegnen? Sicher nicht mit urbanem Spielverbot. Die Beastie Boys haben uns immerhin gelehrt: You gotta fight for your right to party. Vielmehr geht es darum, jedes Stadtkind seine eigene Überraschung im Schoko-Ei Stadt entdecken zu lassen. Die daraus entstehende Vielfalt ist auch, was wir an der Stadt feiern sollten.