Eine Nacht in Budapest.

 

„Wo sogar Hippies Nazis sind“ 

 

Ungarns Demokratie hat Pause, ist unsere These, oder hat sie schon ganz verloren, unsere Befürchtung. Wir wollen das klären und fahren ins Herz des Landes, durch die Puszta nach Budapest. Wir haben Interviews mit Ágnes Heller und mehreren AktivistInnen ausgemacht. Eine Nacht aber wollen wir in einer WG verbringen, weil dort sind die jungen Leuten, die Kritischen, die alles in Frage stellen, und die uns erzählen können, wie sich die ungarische Demokratie anfühlt. So unsere These. Wir wollen hören, was sie erleben und was sie denken. Eine Nacht, die natürlich nicht repräsentativ sein kann oder soll, weder für die ungarischen WGs, noch die Studierenden, noch die Jugend. Per Zufall haben wir auf Airbnb eine Wohnung ausgewählt. 16 Stunden WG-Leben … die, wir können es schon hier verraten, auf fünf gekürzt wurden.

 

 

„Wir fahren nicht einmal drei Stunden. Bist du dir sicher, dass du zwei Wurstsemmeln, drei Liter Wasser, Chips und Schokolade brauchst?“ – „Ich kann nicht anders, das ist der Roadtrip zurück in mein Studentenleben, und deshalb nehmen wir auch noch zwei Flaschen Wein mit und eine Cola für morgen früh.“ … Kopfschütteln. „Die Motorleuchte leuchtet.“ – „Macht sie schon länger.“ Wieder Kopfschütteln, diesmal aber von der anderen Seite.

 

Das Handy läutet.

Twigi. „Hey Daniela, ich und die Crew wollen wissen, wann ihr in etwa kommt.“

Wir. „Laut Navigation noch zwei Stunden.“

Twigi. „Super, wir freuen uns auf euch!“

Wir. „Wir haben nur drei Screenshots von der Route in Budapest. Finden wir das eh?“ – „Ich hab einen fantastischen Orientierungssinn und Budapest ist ja nicht anders aufgebaut als Wien.“

 

Die Wohnung ist gefunden und es war tatsächlich wirklich simpel. Bei Schwechat vorbei, immer geradeaus und so kommen wir am Oktogon an. Ein freier Parkplatz ist direkt vor der Tür.

Das Haus ist ein typischer Budapester Altbau, Fassade bröckelt wie im Stuwerviertel, aber Balkone zieren in jedem Stock den gesamten Innenhof. Das Tor eindrucksvoll massiv, gesichert durch zwei Gegensprechanlagen. 

Twigi* ist unser Host. Sie hat mehrere Wohnungen in Budapest und uns zuerst auch eine andere angeboten. Wir wollten aber die, weil wir wir Mitbewohner wollten. Sie klang schon in den Nachrichten, die wir davor geschrieben haben, nett und auch jetzt wieder, weil wir kommen nicht ins Haus. Sie sagt uns, dass ihr Freund da ist, sie selbst leider nicht. Wir sollen läuten, aber keiner macht auf. Wir gehen mit einem Nachbarn rein. Er stellt keine Fragen, aber Hauptsache Sicherheitsschloss. Schon im schmalen Gang hinter der Tür verlieben wir uns in das Haus. In der Hofeinfahrt sind links und rechts holzverbaute Vitrinen an die Wand gebaut, leer. Im Innenhof sind die Stiegenaufgänge mit Stuck umrandet, angedeutete Säulen tragen kleine Dächer. Der Blick geht nach oben und jedes Stockwerk hat einen mit Säulen bestückten Rundgang, schön. Der Lift ist in einen schwarzen Metallkorb eingebettet, darauf ein Bauarbeitenschild, das selbst baufällig ist, wir nehmen die Treppe. Wir läuten und warten. In der Wohnung tut sich nichts. Wir warten und wir rauchen. In der Wohnung tut sich nichts. Wir läuten und warten und wir rauchen noch eine.

Micky. „Hey, … kommt rein.“ Schläfriger Blick.

Wir. „Hey, Daniela und Max. Und wer bist du?“

Micky. „Oh. Das … ist nur ein Freund, … der wohnt nicht hier, … der geht grad.“

 

Der Typ, der uns nicht geöffnet hat, aber den anderen rausließ, ist Mitte Dreißig und im Blaumann. Er trägt eine rote Wollmütze, mit Bommel. Micky*, so stellt er sich vor. Kurze Planlosigkeit an der Tür, es ist eng und der andere Typ findet nicht durch die Tür raus, durch die wir gerade rein sind. Micky redet langsam. Wir verstehen uns irgendwie auf englisch. Entweder sind die bekifft oder extrem gemütlich. Hinter einer Tür wummert Techno. Einer der Mitbewohner? „Ja, … ein Fahrradkurier, … aber den werdet ihr nicht sehen.“ Aha. Erst mal Wohnungsführung. Durch eine selbst zusammen gebaute Holztür, dann stehen wir im ersten Zimmer. Auf einem aus Holz gezimmerten Podest vier Sessel und ein Tisch, vor einer Ziegelwand. Die Sessel sind wie die Wände, abgenutzt und angepinselt. „Unser Gästebuch.“ Nächster Raum, wir müssen uns ducken. Eine Zwischendecke spannt sich in zwei Metern Höhe über den halben Raum und setzt sich durch Durchbrüche in die anderen Zimmer fort. Zu ebener Erde gibt es aber richtige Türen. Oben geht jemand. „Keine Ahnung … wer da oben ist.“ Aha.

 

In unserem Zimmer liegen Handtücher auf einem Ohrensessel, dessen Strohfutter mehr draussen als drinnen ist. Schlafen könnten hier sicher sechs bis acht Leute, es hat ja zwei Stockwerke und viele Matratzen. Ein Pali-Tuch verhängt den Durchbruch an der Wand im Obergeschoss, dahinter soll der Keine-Ahnung-Typ sein. Wir stellen uns zum ersten Mal die Frage: Wo sind wir hier gelandet? Im Badezimmer fehlt dem Klo das Knie. Es ist saukalt. Ein Heizkörper steckt an der Steckdose, erwärmt seine Umgebung aber maximal in einem Radius von einem halben Meter, uns jedenfalls nicht. „Wir können nicht heizen, … bauchtechnische Gründe … und … wir wohnen nicht wirklich hier.“ Aha.

 

Im Wohnzimmer steht eine Gaskartusche, die einen Heizstrahler antreibt, und ein Menge Menschen rum, manche sitzen auf einer Couchlandschaft. Alle haben ihre Jacken an oder eine Decke um, wir haben beides. Micky stellt uns Anna* vor. Ihre Dreads sind silberblond und sie trägt sieben Schichten Pullover, sagt sie, das sind alle, die sie hat. Sie ist 29. Nach und nach kommen noch andere Leute ins Zimmer, sie stellen sich vor, trinken Bier, rauchen. Zehn, zwölf, 15, 21, wir hören auf zu zählen, weil, geht einer raus, kommen zwei neue rein oder war das der, der gerade raus ist? Gras bekommt man in Ungarn schwierig, aber Jimmy* kennt Leute. Überhaupt sei das Gras in Österreich eigentlich viel besser, sagt er. 

 

Jimmy. „Gleich kommt meine Freundin. Wollt ihr welches? 1 Gramm 10 Euro.“

Wir. „Hm. Teilen wir, jeder 5?“

Jimmy. „Ich hab kein Geld. Micky, hast du Geld?“

Micky. „Nein.“

 

Jimmy spricht auch Deutsch. Jeden, der neu ins Wohnzimmer kommt, weist er an, englisch zu reden. Weil wir da sind. Jetzt gleich noch ein neues Gesicht im Wohnzimmer. Mitte 40, lange Haare, nur 9 Finger. Den Zehnten hat er erst gestern verloren, kann aber nicht erklären, wie und wo. Der Neue will uns als erstes seine Trommel zeigen. Das Auspacken fällt ihm aber schwer, die Wunde feuchtelt noch etwas durch den Verband. Als die Trommel endlich aus der Tasche ist, will er doch nicht spielen. Lehnt sich zurück, raucht. Es beginnt das übliche Smalltalken. Woher seid ihr, was macht ihr, zum x-ten Mal geben wir darauf Antworten. „Wollt ihr auch noch ein paar E kaufen?“ – „Nein, danke.“ Das war jetzt ein kleiner Downer für die Runde, aber langsam beginnen tiefere Gespräche.

 

Anna*. „Also ich wohne hier, ich putze und schaue, dass alles passt.“

Ein Typ. „Ich bin Fahrradkurier.“

Wir nennen ihn ab jetzt den Fahrradkurier. Hier laufen ständig neue Leute rein, Namen merken ist schwer. 

Wir. „Ah, also bist du der Mitbewohner?“

Fahrradkurier. „Nein. Ich wohne nicht hier. Das ist ein anderer. Der ist auch Fahrradkurier?“

Wir. „Ja, hat Micky gesagt.“

Fahrradkurier. „Aha. Nein, weiß ich nicht.“

Anna. „Sonst mache ich nichts.“

Micky. „Ich habe einen Job als Installateur. Seit einer Woche.“

 

Wer wohnt hier eigentlich. Wir haben keinen Durchblick. Von den anderen erzählt keiner etwas über sich. Der Trommler ist auf der Couch eingeschlafen. Es spielt jetzt Trance Techno. Der DJ verschwindet kurz, kommt wieder. Jimmy verschwindet kurz, kommt auch wieder. Wir sind hier um über Politik zu reden. Anna findet unsere Arbeit gut. Es ist gut, wenn jemand schreibt, sagt sie. Zeitungen liest sie nicht. Die schreiben nur vorgefertigte Meinungen. 

 

Fahrradkurier. „Jeder soll einfach tun, was er will. Dann bräuchten wir auch keine Politik.“

Wir. „Aber dann müssten ja alle das gleiche wollen.“

„…“

Wir. „Oder?“

Fahrradkurier. „Hm.“

Anderes Thema. Anna findet gut, dass wir schreiben, sagt sie jetzt noch einmal. „Über was schreibt ihr?“ Sie mag die Regierung nicht besonders, aber irgendwie ist es ihr auch egal. Eigentlich kann sie uns auch nicht sagen, wen sie sonst mag. Sie will in Ruhe gelassen werden. Nur die Kosovaren, die mag sie wirklich nicht.

 

Anna. „Die machen überall Bäckereien auf, die Regierung unterstützt das auch, und deshalb haben die ungarischen keine Arbeit. Die Kosovaren machen auch mieses Brot, das die Ungarn vergiftet.“

Max. „Das geht von der Regierung aus?“

Anna. „Ja, und von der EU. Wenn die Kosovaren und die Serben weg wären, dann würde es uns Ungarn wieder besser gehen.“

Jimmy. „Orban ist national? So ein Scheiß. Der schaut doch auch nur auf sich selber. Zuhause schimpft er über die EU, aber wenn er in Brüssel ist, lässt er sich am Bauch lecken und verspricht der Deutschen Telekom den Breitbandausbau.“

Kurze Stille.

Jimmy. „Morgen ist übrigens eine Goa-Party, wollt ihr mitkommen. Also nur, wenn ihr auch auf Psychedelic Techno steht.“

Wir. „Mal schauen.“

 

Wir trauen uns nicht nein sagen, aber auch nicht ja. Wir rauchen, trinken Wein, überspielen das schlechte Englisch und die schleichende Kommunikation. Wir wollen die Wohnung erkunden. Jimmy führt uns in den selbst eingebauten Zwischenstock im Wohnzimmer. Ein Tuch verhängt den Eingang in Annas Schlafbereich, der oben ist. Sogar ein Badezimmer mit Klo ist dort selbst eingebaut worden, nachträglich. Klar. Anna sitzt auf dem Bett, ein anderes Mädchen sitzt bei ihr, hundert Zeichnungen rund um die beiden. Sie rauchen, kichern und malen. 

 

Wir. „Was zeichnest du?“

Anna. „Hier, du kannst schauen.“

Wir. „Das hier ist schön. Mit den Farben.“

Anna. „Es sind die Farben Ungarns,“

Sie ist überrascht, dass wir da nicht gleich die Verbindung gesehen haben.

Anna. „Die ungarischen Farben sind unglaublich schön. Die Schönsten, die es gibt.“

 

Wir trennen uns jetzt wieder und während auf der Couch gerade der Nicht-Trommler kotzt, allen das einmal fünf Minuten lang egal ist, Micky dann einen Kübel und Wischmop holt, der Fahrradkurier lethargisch rausgeht, weniger lethargisch zurückkommt, der DJ in den stromlosen Laptop glotzt und die Musik von einem Ipod kommt, wird auf dem Zimmerbalkon darüber philosophiert, dass sie hier immer einen Gruppenführer wählen, „weil es kann immer nur einer bestimmen, was die Gruppe macht.“ Momentan ist das … Micky. Der Nicht-Trommler kotzt weiter.

 

Wir. „Was hat er?“

Micky. „Zu viel Party.“

 

Oft finden Goa Partys auch in der Wohnung statt. Bei der letzten waren 200 Leute. Sie haben sich auf den Wänden verewigt, mit Malereien, Schriften und Zeichnungen.

Wir müssen jetzt einmal den Parkschein verlängern. Es ist erst halb neun. Und überhaupt, kurz raus, Lage besprechen. Der kotzt? Von was? Betrunken ist er nicht. Kaum Gras geraucht. Was ist es dann? Anderer Stoff? Keine Ahnung. Aber sie haben kaum Geld? „Hast du dein ganzes Zeug jetzt im Rucksack mit?“ – „Sicher, du nicht?“ – „Ach, was wird schon ….“ Wir gehen etwas essen und fragen uns: Sind wir prüde? Sind wir paranoid? Was ist los mit uns? 

 

Als wir wieder in der Wohnung sind, wieder neue Leute im Wohnzimmer. Jimmy hat einen Joint gebaut, nur für uns. Anna putzt dem Nicht-Trommler jetzt die Schuhe. Er hat schlecht gezielt, schläft jetzt aber wieder, oder noch immer. Wir holen den Wein. In der Wohnung gibt es kein einziges Glas. Die Flasche macht die Runde, der Joint auch.

 

Micky: „Vor einem Jahr ist eine Bombe explodiert. Gleich da drüben in dieser Straße.“ [Anm.: Die Explosion auf dem Theresienring, deren Urhaber bis heute nicht ausgeforscht wurden, fand im September 2016 statt, vier Monate vor unserem Aufenthalt.]

Wir: „Was ist passiert?“

Micky: „Eine Polizistin war verletzt, was ich weiß. Sonst nur das Haus kaputt.“

Wir: „Wer war das?“

Micky: „Orban.“ 

Er lacht. 

Wir: „Wirklich?“

Micky: „Das wäre logisch. Danach haben alle gegen die Flüchtlinge abgestimmt.“ [Anm.: Die Abstimmung über das sogenannte „Flüchtlings-Referendum fand sieben Tage nach der Explosion statt und ging für Orban aufgrund einer zu geringen Wahlbeteiligung verloren.]

Wir: „Habt ihr gewählt?“

Micky: „Nein. Ich hab noch nie gewählt.“

Fahrradkurier: „Ich bin nur ein einziges Mal wählen gegangen. Nicht dafür.“

Wir: „Wofür?“

Micky: „Es ist eh egal, ob man wählt oder nicht. Es kommt nichts raus. Die machen, was sie wollen.“

 

Der Fahrradkurier bestimmt jetzt die Musik. Er gibt etwas hinein, das wie ein Volkslied klingt. „Gypsy-Musik“, sagt Anna. Sie schließt die Augen, zieht am Joint und tanzt mit. Der Trommler erwacht kurz und fängt auch zu schunkeln an. „Aber eigentlich sind Gypsys grauslich, weil die rotzen auf den Boden und waschen sich nicht.“

 

Fahrradkurier. „Für was würdest du dich entscheiden, Teleportieren oder Zeitreisen?“

Wir. „Keine Ahnung. Wahrscheinlich Zeitreisen. Du?“

Fahrradkurier. „Ich weiß es nicht. Wozu soll ich in die Vergangenheit?“

 

Wir trinken, rauchen und suchen nach Themen. Jeder ist ein bisschen für sich, wir haben alles gesagt anscheinend. Sollen wir gehen? Wir sind hin- und hergerissen. Alle hier sind jetzt ruhig, beschäftigen sich mit sich. Es ist noch immer saukalt. Der DJ zeichnet. Wahrscheinlich sogar uns, denn er schaut immer wieder zu uns rüber. Micky bricht das Schweigen.

 

Micky. „Macht ihr eigentlich irgendeinen Sport?“

Wir. „Hm, nein, nicht wirklich. Du?“

Micky. „Nein. Früher hab ich Ringen gemacht. “

Er lacht. 

Micky. „Jetzt aber ist Biertrinken mein Sport. Und das hier.“

 

Er zieht eine abgewetzte Schachplatte unter dem Couchtisch hervor. Max will sofort spielen. Micky hat nicht wirklich damit gerechnet. Jetzt muss er, Schluss mit Lethargie. 

 

Jimmy zu Max. „Du schaust schwul aus.“

Wir. „Wie bitte?“

Jimmy. „Du bewegst dich so, redest so, klingst so, schaust so aus.“

Wir. „Aha, ja und?“

Jimmy. „Das ist nicht gut. In Ungarn mag man das nicht. Aber hier ist es ok. Wir haben kein Problem damit.“

Glauben wir ihm nicht. Und versuchen Jimmy trotzdem vom Nicht-schwul sein zu überzeugen.

Jimmy. „Achso, dann sollte er seine Art überdenken. Die ist nicht männlich.“

 

Twigi kommt. Sie wird von allen begrüßt, der DJ nimmt ihr die Jacke ab und setzt sich dann ganz weit weg von ihr. Twigi ist Englischlehrerin für Erwachsene, hatte heute noch spät Unterricht. Sie setzt sich zu Micky, die beiden sind ein Paar. 

 

Wir. „Wohnst du auch hier, Twigi?“

Twigi. „Nein, wir wohnen außerhalb. Wir haben ein kleines Haus gemietet. Wir haben Katzen, die brauchen einen Garten.

Wir. „Wieso wolltest du am Anfang, dass wir in eine deiner andere Wohnungen ziehen?“

Twigi. „Die andere, die ist viel komfortabler. Die hat eine Zentralheizung. Und ihr wärt dort allein gewesen.“

 

Es kommen immer wieder Airbnb-Gäste in die Wohnung. Besonders im Sommer. Oft kommt eine riesige Runde, Bachelor-Partys. Die letzte, das waren angeblich Schotten, hat aber die Einrichtung und die Wände demoliert, und Mickys Gitarre, und einen Freund von Micky zusammengeschlagen. Ein kaputter Tisch oder Sessel, eine zerbrochene Fensterscheibe, all das wäre Twigi egal gewesen. Aber sie haben auch Annas Malereien beschmiert. Blaue Farben auf die ungarischen, scheinbar ein No-Go. Seitdem haben sie ihre Kunstwerke abgenommen. Sie waren nämlich, eigentlich die erste der Trümmerbars, sagen sie, aber das ist jetzt vorbei.

 

Twigi. „Anna kenne ich seit drei Monaten. Oder so. Sie schaut in der Wohnung auf alles. Wir sind Freunde.“

Wir. „Wie habt ihr euch kennen gelernt?“

Twigi. „Das ist Budapest. Es sind nur 2.5 Millionen Einwohner. Jeder kennt hier jeden. Und über den Winter wohnt Anna jetzt halt hier.“

Wir. „Wo wohnst im Sommer?“

Anna. „Auf Festivals. Bei Freunden.“

Twigi. „Das sind freie Leute.“

 

Nachdem das Schachspiel gewonnen und die Stimmung verloren ist, sind wir weg. Wir wollen noch etwas anderes sehen, oder, ja, vielleicht, wollen wir einfach weg. Das ist nicht die WG oder das Studierendenleben, das wir gesucht haben. Keine hitzigen Politikdiskussionen, keine Kritiker, wie wir uns das erhofft haben. Oder nur teilweise und für uns zu schräg.

 

Wir sind in DIE berühmteste Trümmerbar, weil die so viele Menschen empfohlen hatten. Es ist ein Ballermann, aber wieder saukalt. Kurzum, wir sind jetzt in einem Beisl ums Eck und trinken Unicum und Spritzer und haben uns gerade in einem Hotel eingebucht, weil weder ist diese WG repräsentativ für die Jugend Ungarns und somit fällt Recherche als Bleibegrund weg, noch trauen wir uns dort zu schlafen.

Einen Erkenntnisgewinn für unser Thema haben wir eigentlich nicht. In dieser WG sind Meinungen zu finden, die eine Zerrissenheit aufzeigen und wie die der Neuen Rechten klingen. Ausländer sind ein Problem, die Regierung ist ein Problem … Wir wissen jetzt nur eines: Hier in Ungarn sind auch die Hippies rechts. Zumindest die, die wir getroffen haben.

 

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*Namen von der Redaktion geändert