Let’s talk about sex.

 

von Daniela Krenn und Maximilian Brustbauer

 

 

Die Lust und die Liebe haben ihn zur Konsequenz, den Sex, der freie, der schönste Akt. In den vergangenen Jahrzehnten wurde er aus der Unaussprechlichkeit gehoben, vom Schmutz befreit und zur Alltäglichkeit beworben. Aber heute? Verändert sich da gerade etwas? War es, wenn es um Sex geht, früher wirklich besser? Es ist das Jahr 2016 und die Aufregung über die Erregung versteift sich bei schon überwunden Geglaubtem. Wie stehen wir 2016 zum Sex? Was denken Junge, Alte, Heteros und Homos darüber? Wie tun wir es? Weil schon beim Beischlaf mindestens zwei Menschen gebraucht werden, haben auch wir zur Gesprächszweisamkeit geladen und das dann gleich mehrmals … und unser Recherchevorspiel haben wir auch dokumentiert.

 

 

Ein Interview schreibt sich von allein. Wer hat das noch einmal gesagt? Weil das stimmt so nicht. Es ist jetzt September und im April hat das alles begonnen. Heute können wir sagen: Zu viel Sex kann wirklich zu viel Sex sein. Im Mai war alles noch ganz aufregend. Geschrieben hat sich das Interview dann aber – dank Fingerschweiß und Wein – mit sehr viel Freude, zwar nicht allein, aber von selbst. Wie auch anders, bei soviel Sexappeal und Dirty Talk. Es diskutieren Anna und Marcella. Laura (Name von der Redaktion geändert) und Bernd. Franziska und Erich. Bernadette und Islam. Und Ulrike Lunacek.

 

 

Das Vorspiel

 

 

Bernd: Schauen wir mal, ob wir uns nachher an den Haaren ziehen oder nicht.

Laura: Das hoffe ich nicht!

 

stadtform: Wie war die erste Liebe?

 

Erich: Was ist das, Liebe? Die Frage ist für mich vage. Ist das, wenn du als Baby herauskommst und die Mama siehst?

Franziska: So schnulzig es jetzt klingt, das erste Mal verliebt sein bedeutet, du triffst die erste Person, bei der du Herzklopfen kriegst. Und wenn diese Person verschwindet, tut das weh. So war’s bei mir.

Islam: Bei mir war es schön, aber schmerzhaft. Mache ich nie mehr wieder. Danach war einfach keine Beziehung mehr drin. Danach hat man das nicht mehr so weit kommen lassen. Ist aber auch nicht mega intelligent, würde ich sagen.

Bernadette: Meine war sehr, sehr schön. Ich war halt sehr jung, aber ich war wahnsinnig verliebt und die Trennung war natürlich schmerzhaft. Aber wir sind noch immer voll gute Freunde.

Islam: Das geht?

Bernadette: Das geht sehr gut.

Islam: Ich bin nicht so der Freund davon. Da kommt dann immer so viel hoch. Ich würd das nicht wollen.

Bernadette: Ja, aber es war ja auch einmal schön, sonst wäre es danach ja nicht schmerzhaft gewesen.

Islam: Ja, aber ich könnte das nicht. Ich könnte nicht mit meiner Ex, so »Komm, lass uns mal was essen…«.

Bernadette: Kommt drauf an, wie man auseinander geht. Aber du hast ja einen Grund gehabt, warum du die andere Person so gern hattest.

Islam: Ja, aber eben: den hatte ich. Jetzt habe ich ihn ja nicht mehr.

Bernd: Bei mir war es unerfüllt. Weil ich mich damals in meinen besten Freund verliebt habe und der war nicht schwul, deswegen war das auch einseitig. Schon ein schlechter Start, wenn man mit all seinen Sehnsüchten alleine steht.

Laura: Wie lange ist das her?

Bernd: 20 Jahre. Und bei dir?

Laura: Auch chaotisch, unbefriedigend. Weil wir waren noch so jung und ein bisschen verliebt. Er war mein Tanzpartner, aber es hat keiner etwas ausgesprochen, dann hat es sich wieder verlaufen. Aber das ist einfach nur erste Liebe, nicht mehr.

Marcella: Ich glaube, man ist einfach sehr blind vor Liebe, sehr naiv. Man macht alles für die andere Person, man macht sich richtig zum Affen. Seine ganzen Bedürfnisse stellt man hinten an. Weil man das noch nie erlebt hat.

Anna: Ich glaube, man muss auch erst lernen, mit der Liebe umzugehen.

Marcella: Dass man sich nicht mehr komplett ruiniert. Sondern wen findet, der einen so nimmt, wie man ist.

Erich: Ich war durcheinander. Ich wusste nicht, mag ich Männer, mag ich Frauen? Am Anfang bin ich nur auf Frauen gestanden, dann, mit 15, 16, habe ich auch Burschen gemocht.

Ulrike: Also bei mir gibt es ja zwei erste Lieben. Zu der Zeit als ich aufgewachsen bin, war lesbisch sein kein Thema. Ich kannte das Wort nicht einmal und wusste nicht, dass es eine Option ist. Also habe mich in einen Burschen verliebt, aber das war Schwärmerei und so war es auch bei der ersten Frau. Das hat sich dann geändert.

Erich: Wie alt warst du bei der ersten Liebe?

Franziska: 15.

Erich: Mit dem Alter hatte ich noch keine Beziehung, das war eine Highschool G’schicht. Da schläfst miteinander und das war’s.

Franziska: Ein offenes Geplenkel?

Erich: Ich hab ein bisserl durch die Gegend gepudert. Die Liebe ist erst später gekommen. Da war ich wirklich verliebt, in die Judy. Das war mit 20, im College.

 

Was hat die erste Liebe gelehrt?

 

Bernd: Mehr unter schwule Leute zu gehen. Es bringt halt nichts, sich in Heteros zu verlieben.

Marcella: Mich nicht zu verbiegen, sondern mehr nachzudenken, über die Dinge, die man macht. Ob man sich gewisse Dinge bieten lässt. Ob man gewisse Dinge, die die andere Person tun will, zulässt, oder ob das Selbstverrat ist.

Islam: Einen Panzer aufbauen. Also nichts an sich rankommenlassen und nicht angreifbar zu werden. Um nicht so als blanker Nerv durch die Welt zu gehen.

Franziska: Bei mir war’s eine Zeit, in der ich extrem glücklich war. Ich bin mit 15 drauf gekommen, dass ich auf Frauen steh. Damals habe ich gelernt, wie ich in Zukunft Beziehungen führen werde. Andrerseits war da aber auch Verwirrung, wie soll ich’s den Eltern sagen, wie den besten Freunden?

Bernadette: Das ist so kitschig, aber Liebe ist das Schönste, was es gibt. Also bei mir war’s schön. Und es wär ja schade, ein Leben ohne Höhen und Tiefen zu führen. Höhen machen das Leben lebenswert.

Islam: Man kann aber auch Höhen haben, ohne dass man angreifbar ist. Im Job läuft’s gut, das ist ja auch ein Höhepunkt.

Laura: Man sammelt Erfahrung. Man lernt das andere Geschlecht kennen und sich selbst. Liebe ist auch eine Entscheidung. Es ist mehr als ein Gefühl, es ist auch Entscheidung und ein Tun.

Erich: Ich glaube, ich habe viele Herzen gebrochen. Viele Mädels sind auf mich gestanden. Ich hab mit denen geschlafen. Ich war ein bisschen eine Schlampe eigentlich. Ich glaub, ich war nie in diese Mädels verliebt. Das kam erst später. Mit Judy.

Ulrike: Ich habe das Schöne am Schwärmen gelernt und dass die erste Liebe nicht immer zum Erfolg führen muss und es eine Beziehung wird. Dass auch andere kommen.

Anna: Ich habe hauptsächlich über mich etwas gelernt. Was für eine Art Mensch ich bin, was ich will. Weil die erste Liebe ist doch eigentlich nur das: Da mag einen jemand und dann mag man den zurück und dann ist es Liebe.

 

Wie habt ihr vom ersten Mal verliebt sein erzählt?

 

Ulrike: Ich habe kaum jemandem davon erzählt. Er war ja nicht in mich verliebt.

Islam: Megakitschig. Ich bin auf der siebten Wolke, im Paradies. Mich umklammern Engelsflügel und so ein Scheiß. Was von einem Mann eigentlich gar nicht kommen sollte. Ja, ich hab da eine Frau, fertig. So sollte es eigentlich sein. Also so sollten Männer sein.

Bernadette: So sollten Männer sein?

Islam: So sollten sie nicht sein, aber so sind sie. Ich darf halt nicht so offen über alles reden und Gefühle zeigen, weil ich ein Mann bin. Und wenn ich das mache, dann bin ich schon noch ein Mann, aber so ein verweichlichter Mann.

Bernadette: Geh. Und Frauen dürfen das?

Islam: Ja. Das soll jetzt nicht sexistisch wirken.

Bernadette: Ich versteh schon. Aber was wäre mit mir, wenn ich sag, dass ich mir sehr schwer tue, über solche Sachen zu reden. Also von Engelsflügeln habe ich sicher nie geredet, bin ich dann nicht Frau genug?

Islam: Natürlich gibt’s diese Frauen, die … kalt möchte ich jetzt nicht sagen … ich rede mich grad in die Scheiße, glaube ich.

Erich: Sehr überzogen, übertrieben.

Franziska: Mann?

Erich: Nein, Frau. Also beim Verliebtsein. Davor war mal, ich zeig dir meins und umgekehrt. Aber dann, das erste Mal, das war mit einer Frau. Am nächsten Tag gehst du in die Schule, uhhhh, Titten, sehr machomäßig.

Anna: Ich dachte ich hab den perfekten Menschen ausgegraben. Ich habe keine Fehler gesehen, auch die Fehler waren perfekt. Obwohl, so habe ich auch von dir erzählt.

Marcella: Du kennst mittlerweile meine Fehler.

Anna: Die sind auch süß. Alle.

 

Ist die erste Liebe gleichzusetzen mit dem ersten Mal Sex?

 

Bernadette: Ja.

Ulrike: Nein.

Franziska: Nein.

Erich: Nein. Sex war viel früher als Liebe.

Islam: Nein. Weil ich das erste Mal Sex hatte, bevor ich verliebt war.

Franziska: Ich habe viele Freunde, die vom ersten Mal mit der ersten Liebe enttäuscht waren.

Bernadette: Bei mir war’s genau so, wie es sein hätte sollen. Also ultrasüß und ganz verliebt. 

Franziska: Es gibt ja Paare, die sich mit 14 kennen gelernt haben und noch immer zusammen sind.

Erich: Faszinierend.

Franziska: Meine Eltern haben sich im Studium kennen gelernt und sind noch zusammen.

Erich: Das ist org.

Laura: Sex ist, was mich betrifft, ein eigenes Thema.

 

 

Der Akt

 

 

25. Mai. 

 

Nachricht von daniela: Kann zum heutigen kennenlernen mit zwei kaffee in die redaktion kommen ?! :)

Nachricht von max: das ist zwar sehr nett.aber mir ist ganz stark nach spritzwein.

Nachricht von daniela: Haha das kann man sicher auch in einen to-go becher füllen ;)

Nachricht von max: ersetz die becher durch flaschen wein.ich hab soda hier.

 

Das Wetter ist schon schön in diesem Mai, vielversprechend schön, und davon profitiert die Terrasse als Besprechungsort. 18 Uhr 15, Daniela kommt. Hallo, hallo, du so, ich so, aha, ja klar. Das Kennenlernen beginnt mit Spritzwein. Ideen werden vorgeschlagen. Kennst du das? Ja. Was hältst du davon? Nix. Das Gegenüber hört zu und schenkt nach. Der Takt der Ideen ist langsamer als der Trinktakt, beides aber sympathisch. Wir sind uns sympathisch, die Gemeinsamkeiten befruchtend und die erste Flasche leer. Neben uns sind drei andere Gruppen, eine Terrasse voller Bärte, Sommerkleider und Sonnenbrillen. Rund um uns herum wächst der erste Salat, werden Paradeiser gezogen, dazwischen Erdbeeren und wir. »Wir sollten mitschreiben.« Beste Idee des Abends. Wir takten uns ein. Interviews wären stark. Mit Prominenten. Die sollen über ihr Sexleben reden. »Ich will wen bekannten auf dem Cover. Die Susanne Winter und drüber schreiben wir einfach Sex. Das wird geil.« – »Und Interviews, das schreibt sich quasi von allein.« – »Dann haben wir ja was. Trinken wir noch eine Flasche und machen dann nächste Woche weiter?« ...

 

 

SEX - LIEBE

 

Bernd: Ha! Sehr passend. Ich habe den Sex!

Marcella: Ich glaube, Männer tun sich leichter, das zu trennen.

Anna: Ich glaube, das ist ein Klischee. Es kann auch bei Männern passieren, dass man sich verliebt.

Laura: Liebe und Sex gehören für mich unweigerlich zusammen, das ist anders nicht vorstellbar. Ich könnte nicht sagen, ich gebe mich einem Mensch nur körperlich hin, wenn ich seelisch nicht dabei bin. Weil dann der Sex seinen Zweck nicht erfüllt. Getrennt funktioniert nicht.

Bernd: Es gehört zusammen, aber es geht auch getrennt. Liebe geht nicht ohne Sex, aber Sex geht ohne Liebe.

Ulrike: Liebe und Sex kann getrennt sein, es kann aber auch zusammen gehören. Wenn beim Sex ein bisserl was von Liebe dabei ist, schadet es nicht.

Anna: Ich kann mir vorstellen, dass Sex für Frauen zusätzlich Nähe bedeutet. Bei Männern eher nicht so.

Marcella: Mit einem Fremden bedeutet Sex nie Nähe. Bedürfnisbefriedigung und Ciao.

Anna: Sex ist Nähe, wenn es Liebe ist.

Laura: Ich kann mir Liebe ohne Sex auf eine gewisse Zeit vorstellen.

Bernd: Wie lange denn?

Laura: Bis man sich entschieden hat.

Bernd: Also bis zur Hochzeit?

Laura: Ja.

Bernd: Also du wartest bis zur Hochzeit?

Laura: Ja. Einfach deshalb, weil ich find, dass es gegen die Natur spricht, dass ich theoretisch ein Kind bekommen könnte, aber noch nicht bereit dafür bin. Dass ich bis zur Ehe warte, habe ich mit 16 entschieden. In dem Alter, wenn Sex zum Thema wird. Ich habe das von mir aus entschieden. Man hat ein gewisses Umfeld, bei mir die Kirche und meine Familie. Ich habe Vorträge gehört, Bücher gelesen. Die Entscheidung ist über die Zeit gereift. Und es ist tägliche Herausforderung.

Bernd: Das ist eine tägliche Herausforderung, der ich mich nicht stellen möchte.

Laura: Kann ich verstehen.

Bernd: Anziehung kann ja sehr schnell da sein und wenn, dann möchte ich der auch nachgeben. Also ich würde eher Sex mit jemanden haben, den ich gar nicht kenne, als mit jemandem, den ich nicht mag.

Laura: Also jemandem, den du nicht kennst, aber wenigstens sympathisch findest?

Bernd: Ja genau. Sex ist Kommunikation. Ich kann mit Leuten, die ich gut kenne, tiefgreifende Gespräche führen. Ich kann aber auch Small Talk. Auch auf sexueller Ebene.

Laura: Das hat nichts mit Liebe zu tun?

Bernd: Nein.

 

3. Juni. 

 

Nachricht von daniela: He max. was ich mir grad gedacht habe, wärs auch spannend beim gespräch zwei gegenüber zu setzen mit unterschiedlichem alter? Also zb eine 25 jährige u eine 65 jährige? Bzw jung u alt mit 2 männern? 

Nachricht von max: ich bin grad am feiern.lass uns morgen so um eins telefonieren.

 

5. Juni.

Nachricht von daniela: Gehts wieder?

Nachricht von max: geht so. 

Das klingt vielversprechend. 

 

6. Juni.

Wieder heiß, wieder Terrasse, wieder so ein Tag. Wir versuchen die Ergebnisse zusammenzutragen. Die Zeit nach dem Erscheinen einer Ausgabe fühlt sich ja immer wie Frühling an, und jetzt beginnt sogar noch der Sommer. »Wollt ihr was vom Griller?« Die Zettel verschwinden unter Papptellern, der Stift wird durch Spritzwein ersetzt. »Letztens hat das mit dem Wein ja auch ganz gut funktioniert.« 

 

 

MANN – FRAU

 

Marcella: Ich habe leider eine schlechtere Grundeinstellung gegenüber Männern. Obwohl viele Männer, die ich kenne, sind ganz nette Burschen, aber entpuppen sich dann trotzdem irgendwann als Arschlöcher.

Anna: Ich glaube, dass das ein gesellschaftliches Problem ist, dass man Burschen immer noch anders erzieht als Mädels. Er muss der Harte sein, er muss zeigen, wo es lang geht und dadurch entwickelt ein heranwachsender Mann eine schwierige Haltung. Die sich natürlich später auch auswirkt.

Islam: Also, ob es einen Unterschied gibt? Ja, definitiv gibt es den. Ob ein Mann anders Sex hat? Keine Ahnung. Es kommt auf die Pornos an, die er schaut. Es ist ja nicht so, dass jetzt Papa und Mama daherkommen und sagen: Ok, wenn er steif wird, dann musst du so und so. Sondern nein, da hörst du von deinen Freunden was von Youporn. Und dann denkt man sich, wenn man mal ran darf, ok, Gina Lisa, wie hat die das gemacht, ich mach es auch so. Man ist schon voreingenommen. So mach ich das und ob das einer Frau gefällt oder nicht, keine Ahnung. Aber Pornos und wirklicher Sex, ob das so miteinander funktioniert? Finde ich nicht.

Bernadette: Bei mir war’s damals nicht so, aber Frauen beeinflusst das genauso. Die meisten Pornos sind eben für Männer gemacht. Allein die Aufnahmen! Das kleinste Streicheln bringt eine Frau zum Orgasmus und Frauen glauben halt auch, dass es so sein muss. Dadurch fühlen sich auch Frauen oft unsicher, denn Männer kommen tendenziell leichter zum Orgasmus und Frauen sehen ihren eigenen Orgasmus in Pornos anders und denken dann, liegt das an mir? Aber abgesehen von den Pornos, ich glaub, es ist schwierig zu beurteilen, wie unterschiedlich das für Frauen und Männer ist. Sie werden auf jeden Fall anders beurteilt aufgrund ihres Sexlebens. So in die Richtung: Ein Schlüssel, der jedes Schloss aufsperren kann, ist ein guter Schlüssel, aber ein Schloss, das alle Schlüssel nimmt, ist ein scheiß Schloss. Und es ist nach wie vor so. Ich finde es oft schwieriger, mit dem unterschwelligen Sexismus umzugehen, als wenn man sagt, Frauen gehören so behandelt und Männer so, dann kann man wenigstens diskutieren. Aber bei uns ist das so versteckt. Und: Sie wird gebumst und er bumst. Aktiv und passiv. Jeder verwendet es so.

Anna: Ein Vater sollte seinen Sohn zu Feminismus erziehen. Jetzt nicht so ein strenger Feminismus, sondern Gleichberechtigung. Das man tatsächlich sagt, du bist gleich viel wert wie eine Frau. Das muss man in einer Beziehung leben. Kindererziehung ist für beide da, arbeiten ist für beide da, Haushalt müssen beide machen.

Bernd: Ich fange mal an. Mann, Frau, Wurscht. Obwohl, wenn man keinen Sex mit Frauen hat, kann man nicht wurscht sagen. Aber das ganze Geschlechterding ist mir nicht wichtig. Ich hab viele Freunde, die machen Drag. Die spielen mit diesen Rollen, leben das aus. Es gibt einfach verschwimmende Bereiche, in denen man sich wohlfühlen kann, abseits vom Geschlecht. Ich werde oft gefragt, ob ich überhaupt ein Mann sein will, wenn ich mich als Frau verkleide, aber ich verkleide mich nicht als Frau, sondern als Drag Queen. Das ist verrückter. Drag ist etwas Höheres. Da geht es nicht darum, eine Frau zu sein, sondern verrückte Fummel zu tragen.

Laura: Also ist Drag nicht Frau-sein?

Bernd: Nein. Es geht um Performance. Verkleidung, Spaß, rasieren, Wimpern kleben, Nägel kleben. Das Make up hat nichts mit echten Frauengesichtern zu tun. Für mich sind Geschlechter nicht nur gesellschaftlich vorgegeben, sondern Ich-selbst-sein bedeutet für mich auch Frau-sein.

Laura: Aber es gibt auch gewisse natürliche Unterschiede, die sich auf die Persönlichkeit auswirken. Zum Beispiel ist mir bewusst, dass ein Mann einen stärkeren Sexualdrang hat und wenn ich warten möchte, dann ist es für mich leichter, mich zurück zu halten als für den Mann, weil der schon biologisch anders gebaut ist.

Bernd: Ich würde sagen, dass das gesellschaftlich aufgebaut ist. Dass der Mann immer alles haben kann, was er will. Sex ist Macht und männlich. Und das Mädchen muss sich zurück halten.

Laura: Also, du glaubst nicht, dass das in uns drin ist?

Bernd: Nein. Dafür kenne ich zu viele Frauen, die einfach gern ficken.

Laura: Es geht mir darum, dass ich werde, was ich bin. Auch als Frau.

Bernd: Was möchtest du werden?

Laura: Was Gott für mich gedacht hat. Ich kann das nicht ausdrücken. Es ist eine lebenslange Suche. Ich wachse an mir. An den Stärken und allem, was ich einbringen kann in die Welt. Da gehört dazu, dass ich eine Frau bin. Das heißt nicht, dass ich rosa mag und gerne koche.

Bernd: Sondern?

Laura: Gar nicht so einfach…

Bernd: Das ist für mich immer der Augenblick. Wenn man genau hinschaut, dann verschwindet das. Männer schauen gern Fußball, das ist es nicht. Frauen sind sensibler, ist es das? Also bei mir bleibt nie was übrig. Und ich finde, das ist schon irgendwie eine Befreiung.

Ulrike: Wir haben viel erreicht in der Gleichberechtigung, wir sind aber noch in keinem Bereich wirklich gleichberechtigt, nicht in der Wirtschaft oder der Politik, weder in Österreich noch sonst wo auf der Welt. Das beeinflusst Frauen und Männer, wie sie sich wahrnehmen und das hat auch Auswirkungen, wie sie sich in Liebesbeziehungen verhalten. Hierarchien spielen auch in Beziehungen eine Rolle. Wenn mich Leute fragen, wie das in lesbischen Beziehungen ist, ob wir die gleichen Probleme haben, dann sag ich: Ja, aber wir müssen nicht gegen traditionelle Geschlechterrollen ankämpfen. Das heißt nicht, dass es besser funktioniert. Aber diese Prägungen, die gibt es nicht.

 

7. Juni.

Nachricht von max: noch gut nachhause gekommen?wir müssen jetzt echt konkreter werden.morgen wieder terrasse?

 

8. Juni.

Es wird eine Interviewserie. Immer ein Paar. Am besten mit unterschiedlichem Background. Wir hätten gerne einmal Mann – Frau. Alt – Jung. Homo – Hetero. Links – Rechts. Religiös – Nicht-Religiös. Politisch-Links – Politisch-Rechts.

 

10. Juni. 

Das Konzept ist fertig. Wir werden mit der ersten Liebe beginnen und von dort dann auf Sexualität kommen. Ein paar Einstiegsfragen zum Warmwerden und dann mit vermeintlichen begrifflichen Gegensatzpaaren auf die vermeintlichen menschlichen Gegensatzpaare losgehen. Aber Konzept, das klingt so gar nicht nach uns. Das klingt geplant. Und was ist beim Sex schon geplant?

 

 

GESELLSCHAFT – ICH

 

Anna:  Ich bin mit dem Gedanken aufgewachsen, irgendwann habe ich meinen Mann und meine zwei Kinder und mein Haus und mein Auto. Auch wenn ich offen erzogen worden bin, habe ich Homosexualität nicht ganz verstanden. Ich habe schon gewusst, dass es Frauen gibt, die Frauen lieben, aber ich habe es nicht für mich annehmen können.

Marcella: So ist es mir auch gegangen, ich habe mir immer gedacht, einmal im Leben möchte ich mit einer Frau schlafen, einmal.

Anna: Und dann bleibt man picken.

Franziska: Ich glaube, in den Städten ist das leichter, lesbisch sein. Kommt aber auch darauf an, in welche Bars man geht, ja sogar welchen Studiengang man macht. Was ich aber schon sehe, ist ein Stadt-Land-Gefälle. Viele Freunde von mir sind in der Stadt schwul und am Land hetero oder sagen daheim halt, sie finden keinen für eine Hetero-Beziehung. Ist aber eine recht radikale Weise, weil man lügt sich selbst an. Und auch die Familie. Man muss verstehen, dass sich die Leute nicht wohlfühlen, wenn sie sich outen und diese Angst, aus der Norm zu fallen, ist etwas total Menschliches.

Bernadette: Ich bin sexuell gesehen in der Mitte der Gesellschaft. Absolut. Ich bin heterosexuell.

Islam: Das heißt, du bist Mainstream.

Bernadette: Ich hab wirklich am wenigsten Probleme. Außer vielleicht ein weißer, heterosexueller Mann, der hat noch weniger Probleme, was die Sexualität angeht. Wenn ich offen über Sex rede und mich auslebe, wird das zwar negativ beurteilt, aber trotzdem hab ich es immer noch einfacher als jemand, der homosexuell ist und zwar überall auf der Welt.

Franziska: Ich habe ein Problem mit dem Wort »anders«. Das wird so oft benutzt, und ja, es gibt eine Norm, aber das beziehe ich nicht nur auf Homosexuelle, sondern auch auf Beziehung. Aber das löst sich jetzt gerade auch auf.

Erich: Mittlerweile, aber vor 30 Jahren war das noch mühsam hier in Österreich. Homosexualität war der Wahnsinn. Als ich nach Wien kam, in den 1990ern, war schwul sein in, sich zu outen war in. Aber wirklich offen schwul sein – mühsam.

Anna: Es gibt auf jeden Fall die, die uns ablehnen, die uns ausschließen. Vielleicht will ich die aber auch aus meinem Leben ausschließen.

Marcella: Wenn die Leute dann sagen, die Ehe ist nur für die Fortpflanzung da, deswegen dürfen nur Frau und Mann heiraten. Wo ich mir denk, es gibt genug Paare, die keine Kinder kriegen wollen.

Anna: Oder können.

Marcella: Oder sollten.

Franziska: Ich glaube aber auch, dass heterosexuelle Paare Diskriminierung erfahren, bei allem, was nicht ins klassische Bild passt, zum Beispiel offene Beziehungen.

Erich: Was ist das, Swinger?

Franziska: Wenn du eine Partnerin hast, aber trotzdem Andere triffst und Sex hast.

Erich: Swinger?

Franziska: Auch, aber das muss nicht Swinger sein. Aber ja, auch Fetische werden diskriminiert. Dadurch entstehen Subkulturen.

Erich: Fetische sind wirklich Underground, das macht keiner öffentlich. Da fährt der Herr Karl auf der Straße, du hast keine Ahnung, dass der nach Oberösterreich fährt und den ärgsten Fetisch hat.

Franziska: Aber die wollen das schon auch nach außen tragen können. Die wollen schon drüber reden dürfen, wollen auch gesehen und akzeptiert werden. Die Regenbogenparade ist nicht nur für Lesben und Schwule, sondern auch für Fetische.

Erich: Der Ausdruck, öffentlich seine Sexualität zu zeigen.

Franziska: Darum geht’s auch. Dass man mehr redet und weniger diskriminiert.

Ulrike: Das betone ich immer wieder auf der Regenbogenparade, wie wichtig es für Lesben und Schwule ist, sich in der Mitte der Gesellschaft wahrzunehmen. Und es auch einzufordern, sichtbarer zu sein. Ein Beispiel habe ich: In Warschau bei der Euro-Parade 2010, da gab es fünf protestierende Gruppen, die Katholiken, die Rechtsextremen, noch andere und uns. Und wir sind in der Mitte durchspaziert. Und das war toll, auch für’s Selbstbewusstsein. Die Polizei hat uns geschützt, aber wir haben gezeigt: Wir sind keine Randgruppe.

 

16. Juni.

Wir beginnen mit den Email-Anfragen. Damit wir überhaupt Antworten bekommen, sagen wir zuerst, dass wir nur über die erste Liebe sprechen wollen. Erst wenn wir das Interesse haben, schicken wir im August dann die Details. Nicht gerade die feinste Art. Aber das Gefühl, dass die Leute nicht sofort »HIER!« schreien, wenn sie über Sex reden sollen, beweist das erste Probeinterview mit einem befreundeten Pärchen. Und das Ganze soll ja was werden. 

 

 

18. Juni.

Wir haben Ulrike Lunacek.

 

20. Juni. 

Wir haben Susanne Winter.

 

22. Juni. 

Conchita Wurst sagt ab.

 

24. Juni.

Wir haben Bernd Eischeid.

 

26. Juni.

Wir haben Vertreter_innen von Katholiken, Muslimen, Juden. Studentenverbindungen und Burschenschaften schreiben nicht zurück.

 

30. Juni. 

Wir haben Alte, Junge, Heteros und Homos. Jetzt darf dann jeder einmal in den Urlaub fahren. Um was es bei uns wirklich geht, sagen wir ihnen später.

 

HOMO – HETERO

 

Bernd: Der erste Begriff, der mir einfällt, ist fluid. Was ist homo, was ist hetero, was ist bi? Fluid finde ich einen schönen Begriff, er ist geschlechtsunabhängig. Mal habe ich Interesse an dem, mal an ihr. Die Individualität steht im Vordergrund.

Ulrike: Frauen wurden nicht beachtet, als es damals in Österreich noch verboten war, dass Männer eine Beziehung miteinander haben. Lesben kamen nicht vor. Aber das ist so, Frauen kommen generell nicht vor. Wenn man homosexuell sagt, denken viele an schwule Männer. Deswegen verwende ich den Terminus nicht sehr gern, sondern sage Schwule und Lesben.

Laura: Wie ist das für dich? Gibt’s für dich die Unterscheidung zwischen den Geschlechtern?

Bernd: Für mich gibt’s die noch. So offen wie ich mich sehe, würde ich mich als schwul bezeichnen. Ich habe kein Interesse an Frauen.

Bernadette: Jeder Mensch ist sexuell und auf der Skala halt mehr auf der einen Seite oder auf der anderen. Das hängt auch davon ab, wie er geprägt ist.

Islam: Mehr Vater oder mehr Mutter?

Bernadette: Nein, mehr Priesterseminar oder nicht. Jeder Mensch hat sexuelle Bedürfnisse. Und wenn du eher hetero bist, aber es sind keine Frauen da, dann nimmst du halt einen Mann. Du nimmst, was da ist, damit du dich sexuell ausleben kannst.

Islam: Leuchtet ein, vor allem weil die Araber da nicht anders sind, vor allem die Saudis. Dann steck ich ihn halt in die Schokodose.

Bernadette: Ein Beispiel dazu: Grindr geht im Oman voll ab. Und einige Männer, die bei dieser Datingapp dabei sind, sind verheiratet, haben aber trotzdem Sex mit Männern. Die Gesellschaft im Oman ist immer noch sehr getrennt, weil Männer und Frauen räumlich getrennt leben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es im Oman eine außerordentlich hohe Rate an Homosexualität gibt.

Islam: Bei mir zu Hause geht Homosexualität gar nicht. Wir haben da auch so einen Vers im Koran, wo Homosexuelle absolute Sünder sind. Gleichgeschlechtlicher Sex ist ein No-Go. Damit wächst man auf. Und entweder legt man das ab oder nicht. Ich hab mir anfangs schwer getan, davon loszukommen.

Laura: Für mich ist das Thema schwierig. Ich will mir kein Urteil erlauben. Ich bin neutral. Ich lebe in einem Umfeld, in dem ich wenig Homosexuelle kenne. Wenige, die anders leben als hetero, und deswegen ist das für mich kein Thema. Für mich ist klar, so wie ich lebe, ist das der Weg für mich, eine Familie zu gründen. Das ist unbestritten.

Bernd: Ich versteck mich nirgends, weil ich es auch nicht kann. Ich oute mich nicht, ich sag »Hallo!«.

Laura: Ich gehe auch nicht mit meiner Einstellung hausieren. Ich weiß, dass heute selten jemand auf die Idee kommt, mit dem Sex bis zur Ehe zu warten. Wenn ich in einem Umfeld bin, wo ich denke, da kann niemand was anfangen mit meiner Einstellung, ich müsste mich groß rechtfertigen, dann rede ich nicht darüber.

Bernd: Irgendwann ist man zu alt, sich zu rechtfertigen. Irgendwann denkt man nicht, dass man den Leuten noch was beibringen kann. Oder, ok, ist auch nicht meine Aufgabe.

Laura: Ich habe auch kein Bedürfnis. Außer ich merke Interesse. Oder ich glaube, ich bin Vorbild oder ein Werkzeug, damit andere hören, wie ich das lebe. Einfach nur weil es witzig ist, mich selbst als Exoten zu outen, da hab ich kein Bedürfnis dazu.

 

19. Juli.

Max macht Urlaubsvorbereitungen, um zwei Uhr Nachts, und verschickt in Ermangelung eines korrekten Verständnisses seines Mail-Programms an sein gesamtes Adressbuch »Abwesenheitsnotizen«. Nach fünf Minuten merkt er es.

 

20. Juli.

Susanne Winter wünscht Max einen schönen Urlaub, mit Zwinkersmiley.

 

STADT – LAND

 

Laura: Also ich komme aus einer 1000-Einwohner-Gemeinde, da gibt es nichts anderes als konservativ lebende Familien.

Bernd: Da weiß auch immer jeder alles.

Laura: Zumindest glaubt man das. Es gibt nicht viele Menschen, und die sind ähnlich. Es gibt ein paar, die aus der großen Stadt dazu ziehen und die fallen dann schon auf. Also wenn da jemand noch homosexuell wäre, das wäre in meiner Ortschaft nicht vorstellbar. Gibt es nicht, wage ich zu behaupten.

Anna: Für uns lebt es sich in der Stadt leichter. Die Stadt ist schon viel aufgeschlossener und toleranter.

Marcella: Am Land wird man gleich einmal blöd angeschaut. 

Anna: Das erlebt man wirklich oft. Wenn man auf’s Land kommt oder je ländlicher es wird, umso mehr ist das ein Problem, wenn wir als Paar auftreten. Und es ist dann irgendwie so ein beklemmendes Gefühl, dass wir uns nicht einmal mehr trauen, die Hände zu halten. Dass wir schon anfangen, uns selber zu diskriminieren. Und das macht mich eigentlich fuchsteufelswild.

Marcella: Wir wollen einfach niemanden provozieren. Wir wollen niemanden ärgern. In der Stadt, in der U-Bahn geben wir uns schon hin und wieder ein Bussi, wenn uns danach ist, aber am Land machen wir das eher nicht.

Anna: Es gibt aber auch – das haben wir in der Stadt erlebt, weil am Land sind wir nicht so viel fortgegangen – dieses gierige Schauen. So: »Boah, wie geil seid ihr, kann ich mitmachen?« 

Marcella: Am Land, wenn du lesbisch oder schwul bist, bist allein.

Anna: Ich bin schon am Land aufgewachsen, vielleicht hat das mitgespielt, dass ich lange nicht drauf gekommen bin, weil es keine Vorbilder gab. Ich weiß es nicht, vielleicht wäre ich auch in der Stadt lange nicht drauf gekommen.

Marcella: Ich bin nur drauf gekommen, weil ich Leute getroffen habe, die auch gay sind. Sonst wäre ich sicher auch lange nicht darauf gekommen. Ich habe es irgendwie geahnt. Aber ich dachte, ich bin ganz allein, das ist einfach so ein Gedanke, den ich hab.

Bernadette: Kommst du aus der Stadt?

Islam: Ja, Wien 10, Reumannplatz.

Bernd: Desto mehr Leute, desto mehr unterschiedliche Lebensweisen, desto offener ist man, würde ich behaupten.

Laura: Anonymer.

Bernd: Also anonymer Sex ist auf dem Land nicht …

Laura: … nicht einfach.

Bernd: Nicht möglich.

Bernadette: Ich komme vom Land, vom Bergbauernhof.

Islam: Ich muss sagen, Menschen vom Land, die haben mehr Herz, sind einfühlsamer, umgänglicher. Tolerant? Das sei jetzt dahingestellt, aber die ersten drei Punkte auf jeden Fall. Stadtmenschen sind oft Arschlöcher. Und der Sex am Land, eindeutig perverser.

Bernadette: Was?

Islam: Am Land.

Bernadette: Glaubst du wirklich? Hast du da diese Heustadl-Fantasien?

Islam: Auch. Die trinken auch einfach mehr. Sauerei hoch zehn. Ich war mal in Niederösterreich auf so einer Zeltparty. He, der Hammer. Anfangs noch ein wenig unbeholfen, aber als dann der Alkohol geflossen ist, Hammer. Aufreißen am Land ist einfacher als in der Stadt.

Bernadette: Hast dir ein Mädl aufgerissen?

Islam: …

Bernadette: Und dann ab ins Heustadl? Na gut, aber irgendwie ist es halt auch so. Auch wenn ich mir die älteren Generationen so anschaue. Ich würde nicht behaupten, dass sich meine Oma weniger sexuell ausgelebt hat als ich. Es ist ein bisschen lockerer am Land. Nur in der Kirche redet man nicht darüber.

 

1. August.

Wir beginnen jetzt, den Interviewpartner_innen genau zu sagen, um was es im Interview gehen wird. 

 

In den Tagen darauf:

Kathrin Nachbaur sagt ab.

Richard Lugner sagt ab … doch keine »gmahde Wiesn«. 

Susanne Winter antwortet nicht mehr. 

Die Religionen sagen ab. Alle. 

Carmen Schimanek, FPÖ-Abgeordnete zum Nationalrat und Frauensprecherin, sagt ab. 

Monika Mühlwerth, ÖVP-Bundesobfraustellvertreterin schreibt nicht zurück. 

Weitere Ersatzvertreter_innen diverser Parteien sagen auf die eine oder andere Art und Weise ab.

Ok. Neustart. 

 

10. August.

Wir müssen neue Interviewpartner_innen finden. Von der ersten Runde ist nur noch Ulrike Lunacek übrig.

 

 

 

JUNG – ALT

 

Laura: Ich finde, meine Jugendphase …

Bernd: In der bin ich auch noch.

Laura: … ist genau die Phase, in der das Thema Liebe sich entwickeln soll. Für mich ist klar, dass ich jetzt auf Partnersuche bin, mich entscheiden möchte, und dann diese Entscheidung durchtrage, bis ich alt bin.

Anna: Da hat man dann einen Partner gehabt, bis zum Lebensende. Pech gehabt.

Islam: Jung und Alt als Gegensatz. … Jung mit Alt, da führst du nicht, da wirst du geführt. Der Ältere weiß, was er gern hätte und drückt es dir auf und Jung mit Jung, da …

Bernadette: Sprich es einfach aus.

Islam: Also mein erstes Mal war mit einer älteren Frau, deswegen bin ich da echt alt-fixiert. Das ist halt so. Wenn ich mich jetzt entscheiden müsste, zwischen einer 38-Jährigen und einer Mitte 20, würd ich 38 nehmen.

Bernadette: Ist es das Geführt-werden oder das Lernen?

Islam: Anfangs lernen. Aber die Frau weiß halt einfach, was sie will. Man muss nicht lang und breit um den heißen Brei herum reden. Das finde ich angenehm. Und wenn es nicht passt, dann sagt man es auch. Deswegen finde ich alt ist besser.

Bernadette: Meine Mutter hat mich jetzt mal aufgeklärt, dass das sexuelle Verlangen nicht verloren geht mit den Wechseljahren. Ich könnte mir vorstellen, dass es irgendwann entspannter wird und das man einen Punkt erreicht hat, wo man körperliche Hemmungen abwirft, »bin ich zu dick« und so und dann einfach Spaß hat. Ich könnte mir vorstellen, Sex im Alter ist besser.

Franziska: Ich muss ehrlich sagen, ich weiß wenig über die Zeit von meinen Eltern. Jetzt bin ich 22 und davor interessiert es einen wenig, was die Eltern so gemacht haben. Jetzt kommt das Interesse, jetzt traut man sich fragen. Andersrum sollen Eltern auch Fragen stellen. Jetzt sind wir wieder beim Thema Outing. Bei vielen Freunden von mir, da waren die Eltern so geschockt nachdem sie sich geoutet haben, dass sie nie wieder darüber geredet haben. Bei mir was es umgekehrt, meine Eltern haben gefragt. Nicht intim, aber was das Zusammen-sein betrifft, Liebe, Zukunftspläne. Dadurch werden die Tabus weniger, dadurch redet man offen. Wenn dein Kind schwul ist, dann ist es das Schlimmste, es totzuschweigen und das passiert so vielen.

Erich: Das ist grauenvoll.

Franziska: Auch wenn die Tochter mit einem Mann zusammen ist, der nicht ins Bild der Eltern passt. Sei das jetzt ein Ausländer oder aus einer anderen Schicht, was auch immer, und da finde ich Familien noch immer sehr konservativ.

Erich: Absolut.

 

22. August.

Tanja Playner hat Interesse.

 

23. August. 

Der Mann von Tanja Playner gibt bereits in der ersten Minute des Telefonats zu verstehen, dass er ein sehr, sehr großes Netzwerk hat. … Falls wir etwas Schlechtes über sie schreiben, dann wird er es gegen uns benutzen. … Wir wollten ja gar nicht unbedingt nur ein Interview. Sie hätte die Antworten auch gerne zeichnen können. 

 

24. August. 

Die Details an Tanja Playner, unsere Fragen also, werden mit einem Disclaimer versehen, der von Goldman Sachs sein könnte.

 

Die Tage darauf.

Der Kontakt zu Tanja Playner ist »abgerissen«. Ist uns jetzt auch wurscht. Die Details und Fragen geben wir hiermit zur unumschränkten Verfügung frei.

 

1986 – 2016

 

Laura: Ich finde positiv, dass man offener redet. Es ist heute alles freier und entschiedener. Meine Eltern sind so erzogen, dass man macht, was gesellschaftlich vorgeschrieben ist. Wer aber heute Katholik ist, macht das bewusst. Kirchenmitglieder werden tendenziell zwar weniger, aber die, die dabei sind, sind das aus freier Entscheidung.

Erich: Ich finde die Generation von jetzt ist viel konservativer.

Franziska: Also ich jetzt?

Erich: Ja.

Franziska: Das ist lustig. Das hört man öfter. Kannst du mir erklären, wie konservativer?

Erich: Obwohl Homosexualität mehr toleriert ist, finde ich die Leute konservativer. Was Beziehungen angeht, was Familie gründen angeht. Auch politisch. Sie gehen generell mehr in extreme Richtungen: mehr links, mehr rechts und dadurch weniger cool. Ich bin in Kalifornien aufgewachsen, das war sehr liberal. Seit ich in Wien bin, finde ich, dass die Leute in meinem Alter viel cooler drauf sind als die Jungen.

Franziska: Ich sehe das etwas anderes: der Druck, dass man mit 25 einen Job, eine Beziehung, Kinder hat, der ist weg. Es gibt 33-Jährige, die machen noch Praktika und es ist total ok. Generell merkt man auch, dass Frauen immer später Kinder kriegen. Es ist ok, sich Zeit zu lassen, verschiedene Jobs auszuprobieren, mit 35 Jahren laufend Partner zu wechseln, auf Familienfeiern immer wen anderen mitzunehmen. Für mich ist es weniger Druck.

Erich: Es gibt schon viele Junge, die offen sind, aber dann diese 25-Jährigen, sitzen da und sind stockkonservativ.

Franziska: Ja, die kenne ich auch.

Erich: Was ist mit denen los?

Franziska: Ich finde es dann nur lustig, dass rechte Parteien sinkende Geburtenraten auf Homosexuelle schieben, die ein paar Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Erich: Ah die … [Anm. d. Red.: verwendet hier ein Schimpfwort, eigentlich zwei]

Franziska: Warum redet eigentlich niemand darüber, dass Homosexuelle genauso einen Kinderwunsch haben können? Nein, sie haben einen Stempel: Wer schwul und lesbisch ist, hat nie Kinder. Blödsinn, denn die wollen genauso Kinder.

Erich: Ich kenne einige homosexuelle Paare in Wien, die haben Kinder. Die wussten immer, dass sie homosexuell sind, aber eben wegen der Gesellschaft haben sie geheiratet.

Franziska: Solche Leute tun mir leid. Deswegen hoffe ich, wenn ich 80 bin, dass ich das nicht sage, früher war alles besser.

Bernadette: Ich bin ziemlich sicher, wenn ich 1986 in Wien vergewaltigt worden wär, dann hätte ich zur Polizei gehen können und der Polizist hätte mich als Erstes gefragt: Na, was hast denn angehabt?

Islam: Das kann dir jetzt auch noch passieren.

Bernadette: Aber jetzt kann ich mich darüber beschweren. Und was ist mit Vergewaltigung in der Ehe? Das ist erst vor kurzem eine Straftat geworden, ist aber immer schon Vergewaltigung. Also ich würde nicht sagen, früher war alles besser. Das ist so ein alter Hut.

Islam: Gleich scheiße geblieben?

Bernadette: Nein, es hat sich einfach verändert. Da muss ich was erzählen, ich bin ja auf Tinder. Da waren Männer, die stellen sich in Windel-Fotos online. Aber der eine war der Seltsamste. Der hat ein Foto mit »Make America great again« und so Aussagen wie »Nur Hausfrauen sind gute Frauen« und natürlich hab ich den angenommen. Er meinte dann, dass wir Frauen alle »gebrainwashed« sind und dass Frauen früher glücklicher waren, als sie wussten, wo ihr Platz in der Gesellschaft ist. Und wenn man dann an früher denkt, dann, … also die Studie würd ich gern sehen, dass Frauen früher glücklicher waren. So würde ich nicht leben wollen.

Franziska: Wenn ich später an unsere heutige Politik zurückdenke, werde ich hoffentlich sagen, es hat sich super weiterentwickelt.

 

Die Interviewpersonenrecherche ist abgeschlossen. Wir haben drei Interviewpärchen (liberal vs. religiös, jung vs. nicht mehr so jung wie das junge Gegenüber, ein echtes Pärchen) und Ulrike Lunacek.  Die einzige Politikerin, die mit uns reden will. Auch interessant. Weil wir jetzt aber sehen, dass nur eine Interviewperson hetero ist, weil halt die anderen alle abgesagt haben, holen wir uns noch jeweils eine Person aus dem Freundeskreis. Daniela einen Mann, Max eine Frau. Und wie es der Zufall will, haben die auch eine Gemeinsamkeit.

 

Das könnte wirklich spannend werden. Optimismus. Aber sicher sind wir uns gerade nicht. Pessimismus. Wird schon werden. Realismus.

 

FREIHEIT – GRENZEN

 

Marcella: Mehr Freiheit brauchen wir eigentlich nicht. Uns sagt keiner, wir dürfen keinen Sex haben. Und was wir im Schlafzimmer wirklich machen, geht niemand was an. Wir haben zum Glück viel Freiheit.

Anna: Nicht die Freiheit zu heiraten.

Ulrike: Bis 1971 war Homosexualität in Österreich strafbar. Da hat sich schon einiges verbessert. Aber vieles ist in der Gesellschaft noch immer nicht angekommen, ist immer noch ein Tabuthema. Jetzt gibt es die Regenbogenparade und Leute wie mich, die öffentlich dazu stehen und fragen, was ist das Problem? Wenn du dich verliebst, dann entscheidest du nicht. Aber sowohl christliche Fundamentalisten als auch Rechte nehmen Lesben und Schwule als Teil ihrer Anti-EU-Politik. Ich habe 2014 im EU-Parlament eine Strategie für LGBT veröffentlicht und bekam 42.000 Beschwerde-Mails. Wegen einer Strategie, nicht einmal ein Gesetz! Da stand dann drinnen, dass es die universellen Menschenrechte in Frage stellt, weil es dann besondere Privilegien für Lesben und Schwule gäbe. Dabei ging es darum, wie Aufklärung aussehen könnte, zum Beispiel für die Polizei und an Schulen.

Bernd: Politik ist dafür da, dass Menschen gleichberechtigt leben können, dazu gehört die Ehe für Homosexuelle und das Adoptionsrecht. Das ist Aufgabe einer Politik, die Möglichkeit zur Freiheit aufzubauen.

Laura: Weiß ich nicht.

Bernd: Hartes Thema?

Laura: Weil ich mit dem Thema der Homosexualität vorsichtig bin. Ich fühle mich nicht in der Lage und schon gar nicht dazu berechtigt, das zu werten.

Bernd: Aber die Tatsache, dass du nicht klar ja sagst, heißt ja schon was.

Laura: Genau. Ich bin da geprägt. Ich glaube, ich tendiere eher zum Nein. Mir geht’s aber nicht gut dabei, weil ich das Thema brisant finde. Mein Umfeld, meine Prägung ist sicher ein großer Einfluss und zugleich will ich eigentlich weltoffen und modern sein.

Islam: Religion, Kultur, Gesellschaft, die grenzen deine Freiheit ein. Da muss man definieren, wo die Freiheit ist.

Bernadette: Und auch was Freiheit ist. Weil du darfst frei sein, aber niemand anderen in seiner Freiheit beschränken. Und dafür braucht es Grenzen.

Islam: Naja, wenn sie jetzt nicht auf Schokodosensex steht, dann halt nicht Schokodose.

Bernadette: Wir können auch politisch korrekt bleiben.

Islam: Ich dachte Schokodose ist halt Schokodose.

Bernadette: Apropos. Das ist ein großes Thema, das Nein-sagen. Der Po-Grapsch-Paragraf zum Beispiel.

Islam: Ich klatsche jetzt keiner Frau auf den Po, wenn sie nicht geklatscht werden will.

Bernd: Sehr vorbildlich.

 

1. September. 

 

Letzte Besprechung. Donaukanal, wir müssen ja auch einmal raus. Wir haben die Fragen. Alles steht. »Aber weißt du was? Was hältst du denn davon, wenn wir die Fragen kicken und aus denen Gegensatzpaare machen?« – »Du meinst alles, den ganzen Aufbau und das ganze Konzept übern Haufen werfen und quasi Guerilla-Interview machen? Wir haben nur noch vier Tage bis zum ersten Interview!« – »Ja, eh, aber wer weiß, was dabei rauskommen würd.« – »Du meinst, Spontanität?« – »Ja.« – »Zwei Spritzer für Sie?« – »Ja, läuft, machen wir. Dann wissen wir wenigstens nicht, was passieren wird, ich hab ja eh keinen Bock mehr auf Planung.« 

»Arg eigentlich, was in den letzten drei Monaten passiert ist. Wir sollten einen Making-of-Text machen.« – »Fantastische Idee! Da können wir auch die ganzen Absagen reinschreiben. Es ist ja schon auch ein Statement, wer aller nicht über Sex sprechen wollte.«

 

PORNOS – EROTIK

 

Franziska: Ich glaube, da haben wir recht unterschiedliche Meinungen.

Erich: Porno? Ich steh auf Porno. Ich habe kein Problem mit Porno.

Islam: Ich meine, klar sind Pornos erotisch. Ich lass das mal so stehen.

Anna: Es gibt auch echt grausliche Pornos. Lesbenpornos zum Beispiel. Kann man sich nicht anschauen. Es gibt jetzt diese frauenfreundlichen Pornos. Die habe ich aber noch nie gesehen.

Marcella: Ich auch nicht. Das ist wahrscheinlich filmmäßiger.

Anna: Mit einer Story. Ich glaube Frauen brauchen Sex im Kopf.

Bernd: Die wenigsten Pornos sind erotisch. Erotik lebt vom Hinweis. Erotik findet im Kopf statt. Beim Porno wird einfach alles gezeigt.

Bernadette: Es kommt auf den Porno an. Es gibt ja für jeden Fetisch einen Porno und ich finde nicht jeden erotisch.

Islam: Ja aber, schaust du keine Pornos?

Bernadette: Doch, das schon. Aber die haben eine andere Auswirkung auf mich als auf dich. Man sieht ja auch immer nur die Frau. Und die Männer stöhnen nie, was auch ein bisschen unrealistisch ist, seien wir ehrlich.

Islam: …

Bernadette: Ich glaub einfach, der Gedanke dahinter ist, dass Männer andere Männer beim Stöhnen nicht hören wollen.

Islam: Das ist abturnend.

Laura: Wie viel hat Drag mit Erotik zu tun?

Bernd: Unterschiedlich. Bei mir wenig. Ich trage enge Klamotten, Hüftpads, habe eine schöne Figur. Aber bei mir geht es eher um Spaß. Ich bin keine Drag Queen, um sexy zu sein, obwohl ich mich sexy fühle. Mit High Heels, die machen, dass man anderes geht. Brust raus, Arsch raus. Man kriegt viele Komplimente. Aber ich habe selten Sex in Drag.

Laura: Ich habe in meinem Leben nie einen Porno angeschaut. Ich habe auch nicht vor, das zu machen, ich will keine fremden Fantasien. Ich bin auch vorsichtig, was den Konsum gewisser Filme betrifft, die mir zu viel Sexuelles zeigen. Wenn ich mich mit Sex zurückhalten will, dann darf ich mir solche Filme nicht anschauen.

Franziska: Ich habe kein Problem mit Porno. Ich schau jetzt nicht so wirklich Pornos. Teilweise deswegen, weil ich mit der Art und Weise, wie Pornos gemacht werden und was da transportiert wird nicht übereinstimme. Und damit hab ich schon ein Problem, dass lesbische Pornos für Männer gemacht werden. Es gibt sicher auch andere Pornos, aber generell Shows, Magazine, alles mit Pornografie, wenn’s um zwei Frauen geht, dann ist das für Männer gemacht, da fühle ich mich benutzt und auch ausgeliefert.

Erich: Ich schau meistens Schwulenpornos.

Franziska: Darüber weiß ich auch nichts.

Erich: Ich mag die. Und es gibt so viele im Internet!

Franziska: Dass es das Internet gibt, find ich cool, aber worüber man wenig redet, ist, dass ein 15-jähriger Bursche oder Mädel Zugang zu Filmen hat, die ihm oder ihr ein völlig falsches Bild vermitteln.

Ulrike: Das ist sicher das Gefährliche dabei, es gibt sehr viele Bilder, die jungen Menschen nehmen, selber drauf zu kommen, was sie gern hätten. Dadurch entstehen Forderungen, Erwartungen, die nicht erfüllt werden können. Was ich auch nicht gut finde, ist die Vorstellung, was Lesben miteinander tun, die ist unreal.

Franziska: Früher, vor dem Internet, gab es nur Magazine.

Erich: Da hast du mehr fanatisieren müssen.

Franziska: Genau. Aber jetzt siehst du was und du denkst, es ist die Norm. Und es ist nicht selten, dass 15-Jährige, die Hardcore Filme schauen, später dann Probleme haben, mit jemandem zu schlafen, beziehungsweise überhaupt einen hoch zu kriegen.

Erich: Wegen Porno?

Franziska: Ja.

Erich: Das habe ich noch nie gehört.

Franziska: Na, weil sie total auf diese Bilder gedrillt sind. Aber sie kriegen diese Bilder nicht in der realen Welt.

 

 

6. September.

Interviewpartner: »Habt ihr Bier oder Spritzer?« Blöd. Wir haben nur Grappa. 

 

 

RELIGION – LUST

 

Anna: Religion schließt Lust nicht aus.

Marcella: Aber sie möchte es.

Anna: Sie möchte es, ja. Ich glaube, in jeder Religion gibt es eine Form der Unterdrückung, auch sexueller.

Marcella: Der Mensch kann da nicht raus, das ist ein Grundbedürfnis.

Anna: Irgendwo muss es raus. Ich will jetzt nicht sagen, dass die ganzen Missbrauchsfälle in der Kirche dazu führen, aber …

Marcella: Das Zölibat ist einfach veraltet.

Anna: Es ist nicht nur veraltet, es ist abartig.

Marcella: Es ist unnatürlich.

Anna: Das Zölibat ist unnatürlich, nicht wir.

Laura: Also prinzipiell ist das kein Widerspruch. Meine Religion will das nur in einem gewissen Rahmen wissen. Und der Rahmen ist ein Mensch, dem ich vertraue und für den ich mich entschieden habe. Vor Gott und der Welt.

Bernd: Ich bin religiös aufgewachsen. Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass Religion viel zu viel Schaden anrichtet. Besser man konzentriert sich auf sich selbst und ist nett zu Leuten, weil man zusammen lebt und nicht weil man im Himmel belohnt wird.

Laura: Für mich ist das ein großes Ganzes. Große Sinnfragen wären für mich [ohne Religion] nicht beantwortet. Ich würde mich fragen, wozu bin ich auf der Welt, wenn es keinen Gott gibt. Deswegen ist das wichtig für mich. Aber dass Kirchen weiß Gott was aufgeführt haben, das sehe ich durchaus kritisch. Deswegen finde ich gut, dass sich Leute heute frei dafür entscheiden. Aber jetzt sind wir schon ein bisschen weg von Liebe und Sex, aber das war die Religion.

Ulrike: Ein ziemlicher Widerspruch. Ja, mehr als gut tut. Religionen sehen Lust als etwas, das nicht anzustreben ist und als Sünde. Obwohl wir alle wissen, dass es innerhalb der Religion den patriarchalen, viel verdrängten Sex gibt. Das ist ungesund, auch psychisch. Ich bin ausgetreten, das hat mit meinem Feminismus zu tun und auch, weil ich nicht wusste, was ich dort soll. Das Interessante war, mein Taufschein war noch bei meinen Eltern, also hab ich meinem Vater gesagt, ich brauche ihn, weil ich austreten will. Mein Vater war alles andere als religiös, aber er meinte, ich könne das nicht machen. Ich könne ja aus dem Staat auch nicht austreten. Das hat mich gewundert. Aber die Kirche ist eben schon eine Institution für viele.

Erich: Wahnsinn, was da in der Kirche an Sex verdrängt wird. Und trotzdem, das sind ja die ärgsten Perversler in der Kirche. Und zwar egal in welcher Kirche.

Islam: Im Islam wird dir eingetrichtert, dass du keine Lust haben sollst.

Bernadette: Echt? Finde ich eigentlich nicht. Ich habe da ganz spannende Arbeiten drüber geschrieben an der Arabistik, über Lust in der Ehe, dass im Koran dazu eigentlich aufgerufen wird.

Islam: Ja, aber vor der Ehe nicht. Da ist alles verhüllt und man stellt sich das dann so vor. Sind das blonde Haare oder eher dunkle. Da wird Lust höchstens gefördert.

Bernadette: Aber das ist im Katholizismus dasselbe. Nur dass da in der Bibel nicht drin steht, »Männer befriedigt eure Frauen«. Sex ist nur zur Fortpflanzung da und das ist im Islam nicht so. Also im Islam ist Lust etwas Wichtiges.

Islam: Läuft.

Bernadette: Brauchst mir da gar nichts erzählen.

Franziska: Das Einfachste, um Menschen in einen Glauben zu drängen, ist, wenn man den Trieb, also die Sexualität, verteufelt. In der katholischen Kirche gibt es ja nur Mann und Frau. Der Mann hat Lust und stillt das mit der Frau, aber von der redet sowieso keiner in der Kirche. Das Einfachste ist also, die Frau ist an allem schuld.

Erich: Ich finde das krankhaft, dass in manchen Institutionen, die Frau beschuldigt wird, wenn sie vergewaltigt wird. Das ist pervers. In manchen Ländern, geht die Frau dafür ins Gefängnis.

Franziska: Nicht nur in gewissen Ländern, sondern gewissermaßen auch in Österreich. Wie oft wir diese Diskussionen haben, ob es okay ist, einer Frau unter den Rock zu greifen. Da hört man immer, wenn eine Frau nicht vergewaltigt werden will, dann soll sie sich keinen Minirock anziehen. Also das gibt’s auch in Österreich.

 

14. September 18 Uhr.

Daniela kommt bei der Tür rein. Der erste Entwurf für den Making-of-Teil wird vorgelesen. »Apropos Spritzwein. Ich hab Wein mitgebracht.« – »Spitze. Ich hab Soda.«

 

14. September 22 Uhr. 

Euphorie und penetranter Schwips. Gute Interviews. Optimismus siegt. Jetzt sind wir dran. Zu einem Making-of-Text muss auch ein Making-of-Video. Was war das Spannendste? Was hast du für dich mitgenommen? Haben wir eigentlich über Sex geredet? Wie sagt man eigentlich »Sex haben«, da gibt es keinen Begriff dafür. Ficken. Liebe machen. Pudern. Wir verlieren uns. Lassen wir es für heute. Wer weiß, ob die Kamera überhaupt aufzeichnet, wenn keiner mehr hinter ihr sitzt und aufpasst. Und vor allem. Lest einfach das Interview, am besten gleich nochmal und schaut das Video. Anna, Marcella, Bernd, Lucia, Franziska, Eric, Bernadette, Islam, Ulrike, wir fanden es scharf mit euch. 

 

FREIE LIEBE – BEZIEHUNG

 

 

Laura: Also ich bin nicht überzeugt von freier Liebe, aber wenn das einer macht, dann geh ich nicht zu ihm hin und sag, »was machst da für einen Scheiß?«.

Bernd: Im Gegensatz zu mir. Ich geh gern zu monogam Lebenden und frag, was macht’s ihr da für einen Scheiß. Ich glaube, dass freie Liebe möglich ist. Und das heißt ja auch nicht wild mit jedem. Es gibt ja auch klare Grenzen, die man bespricht.

Ulrike: Da gibt es einen Unterschied zwischen früher und jetzt bei mir. Früher war da viel möglich, jetzt ist das Bedürfnis nicht mehr da. Ich bin mit der Beziehung, in der ich lebe, zufrieden und daher sind Affären kein Thema. Aber da hat jeder Mensch unterschiedliche Phasen. Ich finde nur wichtig, dass man sich nicht von gesellschaftlichen Normen irgendwohin drängen lässt. Das ist nicht immer leicht, aber so ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln, das gehört gelehrt, da gehört offen darüber geredet. In den Familien und an Schulen. Wenn das nicht passiert, dann kommt es zu Verdrängung und das ist psychisch nicht gut.

Bernd: Ich habe einen Freund, den habe ich gefragt, seit wann er eine offene Beziehung hat. Seine Antwort: »Schon lange, aber Regeln sind so viele, wie im EU-Vertrag drinnen stehen.« Der eine darf den anderen nicht kennen. Es darf nur passieren, wenn der andere außer Landes ist und so weiter. Ich glaube, das kann für manche funktionieren. Es wird so viel fremdgegangen. Aber wenn man das offen macht, wo dann jeder den Sex bekommt, den er braucht oder haben will …

Laura: Das finde ich nicht nachvollziehbar.

Marcella: Es gibt Menschen, die können das, ich gehöre nicht dazu. Für mich gehört zu Liebe Nähe, Vertrauen und dieses »ich gehör nur dir, und du gehörst nur mir«.

Anna: Für uns ist Liebe auf jeden Fall monogam, auch weil wir viel zu eifersüchtig wären.

Marcella: Nicht nur das. Ich mag gar nicht.

Anna: Du bist süß. Ich mag auch nicht.

Bernd: Also ich war schon mal in zwei Leute gleichzeitig verliebt und es funktionierte. Ich hatte für beide unterschiedliche Gefühle, die kamen aber nicht daher, dass ich bei einem unbefriedigt war.

Laura: Und für die war das ok?

Bernd: Es ist wichtig, dass alle Bescheid wissen, denn kompliziert ist es schon und man muss wach sein, muss Grenzen akzeptieren.

Islam: Wenn ich eine Beziehung führe, ist freie Liebe ausgeschlossen.

Bernadette: Das ist Schubladendenken.

Islam: Wenn ich eine Beziehung habe und dann denk ich mir, nein, ich hab heut Bock auf Erdbeerkuchen, das ist ja nicht Sinn und Zweck einer Beziehung.

Bernadette: Es kommt drauf an, was du als Sinn und Zweck der Beziehung definierst.

Islam: Na gut, für das normale Verständnis, ein Mann, eine Frau und ich hab nur die eine Frau und ich schlafe nur mit der.

Bernadette: Ja, aber wenn das beide nicht glücklich macht?

Islam: Ja, aber jeder darf mit jedem bumsen, das läuft nicht, das sind Fantasievorstellungen. Du kannst mir nicht erklären, dass, wenn wir eine Beziehung hätten, und du sagt zu mir, »He Hase, der eine Freund, der ist ganz süß …«. Das geht nicht.

Bernadette: Ich glaube, man kann eine gewisse Eifersucht zulassen.

Islam: Aber wenn ich weiß, wir schlafen im selben Bett, und ich weiß dann, dass du mit Johnny eine Nummer hattest, das geht gar nicht. Ich würde es ja auch nicht.

Bernadette: Es kommt drauf an. Ich würd sagen, dass Beziehung und Partnerschaft nicht unbedingt dasselbe ist.

Islam: Warum gehst du dann eine Beziehung ein?

Bernadette: Naja, ganz ehrlich, 30 Jahre Monogamie, das ist unrealistisch. Du hast sogar vorher am Anfang gesagt, dass du nicht verliebt sein willst.

Islam: Aber wenn, dann …

Bernadette: Das geht ja drüber hinaus. Wenn ein Seitensprung passiert, glaube ich nicht, dass ich die Liebe aufgeben will.

Islam: Dann nehme ich halt als Ausrede, dass ich zu viel getrunken habe oder wie?

Bernadette: Es geht nicht um Ausreden. Sondern du sprichst es offen an, ich hab Lust drauf gehabt.

Laura: Das ist nichts für mich. Vor der Ehe muss ich die Beziehung aufbauen, deswegen warte ich extra mit dem Körperlichen, dass das Seelisch wachsen kann. Ich glaube, dass ich das durchtragen kann. Und wenn dann Phasen kommen, wo man den anderen verachten wird, die gibt es natürlich, da kann es passieren, dass man wen anderen trifft, den man attraktiver findet. Deswegen finden ja manche auch eine Ehe so langweilig. Vorher muss ich wirklich prüfen, aber wenn ich dann heirate, dann wirklich, da mag kommen wer will und zusätzlich habe ich Vertrauen, dass alles in Gottes Plan steht.

Bernd: Gottes Plan ist Monogamie?

Laura: Für mich schon.

 

 

 

Postkoital

 

15. September.

Nachricht von lisa an max: Wie soll das Video eigentlich betitelt werden?

Nachricht von max an dani: hast du titelvorschläge für video?

Nachricht von dani an max: Pempern und budern.

Nachricht von max an lisa: pempern und budern.

Nachricht von lisa an max: Vielleicht überlegt ihr euch das nochmal mit dem Titel.

Nachricht von max an dani: ist nicht angenommen worden.

Nachricht von dani an max: Du hast ihr das jetzt nicht in echt vorgeschlagen!einself!11!!

Nachricht von max an dani und lisa: man wird ja noch sagen dürfen...

 

Welchen Stellenwert hat Sex in deinem Leben?

 

Franziska: Sicher wichtig.

Erich: Sex ist schon ein wichtiger Teil meines Lebens. Sogar einer der Gründe, warum ich die letzte Beziehung beendet habe, weil der Sex zu langweilig geworden ist. Ich war sexuell aktiver als er. Also, es gab mehrere Gründe. Aber es war auch der Sex.

Franziska: Es ist der Grad, woran man misst, ob man zusammen gehört. Man sollte viel ausprobieren am Anfang. Im besten Fall funktioniert es. Und dran arbeiten, wenn es langweilig wird. Ich glaube, dass viele Beziehungen zerbrechen, weil man sich keine Mühe mehr gibt. Dabei kann es ja eigentlich nur besser werden.

Ulrike: Sex ist ein wichtiger Teil, aber lange nicht alles. Es gibt auch viel anderes.

Bernadette: Also im Moment spielt Sex einen sehr niedrigen Stellenwert bei mir.

Islam: Ist Sex ganz unten? Nein. Ist es das Wichtigste? Auch nicht. Top 10? Okay, Top 5.

stadtform: Das glaubt dir niemand.

Islam: Okay, stell noch mal die Frage.

stadtform: Welchen Stellenwert hat Sex in deinem Leben?

Islam: Ähm, ja, läuft. Ich glaube, er steht mit anderen Sachen auf Platz 1.

Bernadette: Prinzipiell hat er natürlich einen hohen Stellenwert. Es ist halt einfach ein Trieb, den man bestmöglich ausleben sollte, wenn man nicht irgendwann plemplem werden will.

 

Wenn du an die Zukunft denkst, was wünscht du dir für den Sex?

 

Islam: Offener, dass man mehr drauf eingeht. Hier in Österreich ist das schon eher so, aber arabische Länder brauchen echt Aufklärung. Dann würde es auch zu weniger Übergriffen auf Frauen kommen. Man redet halt im arabischen Raum nicht über Sex, auch nicht in der Schule, auch nicht bei den Eltern. Ansonsten läuft’s, glaub ich.

Bernadette: Generell einen gesünderen, natürlicheren Zugang zur Sexualität. Zum Thema arabischer Raum, ich glaube, da spricht man als Europäer sehr leicht, solche Veränderungen können nur von innen kommen. Und es gibt genug Probleme in Österreich. Zum Beispiel Frauen, da werden ständig Grenzen überschritten. Und noch immer sind so viele Themen tabuisiert. Also generell Aufklärung und Enttabuisierung. Welcher FPÖ-Politiker hat das gesagt, Sex ist Jagd? Und wenn eine Frau »Nein« sagt, heißt das nicht unbedingt »Nein«. So ein Schwachsinn.

Ulrike: Ich wünsche mir, dass wir nicht ständig dagegen kämpfen müssen, dass es schlechter wird, sowohl rechtlich als auch gesellschaftlich. Und die Gefahr sehe ich schon. Wir haben jetzt eine Diskussion in Polen, die wollen das Abtreibungsrecht verschärfen [Anm. d. Red.: Zum Zeitpunkt des Interviews stand die Abstimmung im Parlament noch aus.], also Abtreibung nur dann erlauben, wenn Gefahr für die Mutter besteht. Obwohl sie eh schon ein relativ scharfes Gesetz haben. Allgemein gesagt, vieles ist auch besser geworden und ich mache Leuten schon immer Mut. Es ist allerdings nötig, weiterhin für Verbesserung zu kämpfen.

Franziska: Ich wünsche mir, dass man halt mehr darüber redet, unaufgeregter, auch im Freundeskreis eigentlich. Man sollte sich austauschen, voneinander lernen, was Orgasmen betrifft und so weiter.

Erich: Leute reden weniger über Sex im Freundeskreis als über den Job, das Gehalt, die Politik. Warum eigentlich?

Bernd: Ich wünsche mir mehr Sex. Nicht nur für die Gesellschaft im Allgemeinen – ich habe selbst wenig Sex in letzter Zeit – sondern generell mehr Sex. Und bei dir? Heiraten und dann Sex, oder?

Laura: Ja, kann man schon so sehen.

stadtform: Freust du dich drauf?

Bernadette: Mach das! Schöne Sache.

Laura: Ich freu mich auf das Gesamtpaket und da gehört das dazu.