Sex and the city

von Johannes Suitner

 

So ist der Lauf der Dinge. Nach einer ersten schönen Oktobernacht schleppt sich stadtform aufs Salzamt, erlebt den Weltuntergang und saniert sich mit viel RemmiDemmi. Und zum Jahrestag, beim fünften Date, haben wir endlich Sex mit der Stadt.

 

Überhaupt ist alles Sex! Soviel steht fest. Manche, darunter der großartige Pop-Philosoph Eric Jarosinski, meinen zwar, alles sei Politik. Aber Sex ist bekanntlich Macht, also ist beides richtig. Entsprechend schwer fällt die Eingrenzung beim Thema aller Themen. Als der Kulturtheoretiker Raymond Williams schrieb, Kultur sei eines der drei kompliziertesten Konzepte, waren Politik und Sex wohl die anderen zwei, an die er dachte. Nur im Gegensatz zu Kultur und Politik ist Sex halt das Salt’n’Pepa in der Alltagssuppe. Kultur ist die Einlage, Politik der Löffel. Reden wir also über das Salz. Let’s talk about sex, baby!

Ich musste mich schon zusammenreißen, um hier nicht ein Potpourri tiefer Teenagerwitze zu präsentieren. Davon gäbe es schließlich genug. Aber so ist das eben beim einzigen Thema dieser Welt, über das man nur in der Zeit von Pickelseuche und Schamhaarwuchs mit Freund*innen im Raucherhof reden kann – und dann nie wieder. Sex ist so alltagstauglich wie der Ferrari für die Bergbäuerin. Und warum? Fragen wir doch Jarosinski! Ach ja: It’s all politics. Dabei ist die Geschichte der Sexualität gar nicht so von Tabus durchzogen, wie wir immer glauben. In „Sexualität und Wahrheit“ etwa erklärt uns Michel Foucault, dass wir allein durch Schule und Religion dazu angehalten werden, Sexualität im Alltag zu thematisieren – quasi oversexed von der Obrigkeit. Das Politische verbirgt sich erst in den Mechanismen, die uns eine Gesellschaft von einheitlichen Werten und Identitäten verkaufen wollen. Monogamie, Ehe und Heteronormativität, das sind die Buzz-Words der konstruierten sexuellen Wahrheit. Wer für sich eine andere Wahrheit findet, hat einen schweren Stand. Und wie ist das mit „Oversexed and underfucked“? Auch konstruiert. Sagt zumindest Iris Oswald-Rinner in ihrem gleichnamigen Buch. Unsere Vorstellung, alle anderen hätten viel mehr und besseren Sex als wir, fußt auf medialen Überinszenierungen von Lust und Verlangen und unrealistischen Alltagsdarstellungen. Auch auf die Gefahr hin, dass das jetzt Ihr Weltbild zerstört, aber: Nein, nicht jeder Installateur ist ein gestählter Adonis mit Pferdeschwanz, der eine Arbeitsstunde bei der Busen-Barbie mit „Rohr verlegen“  gegenrechnet. Das weiß auch ich seit dem letzten Thermenservice. Denken Sie einfach daran: Wenn Ihnen ein knackiger Footballer am Werbeplakat den Ab-Master 3000 verkaufen will, wenn Ihnen die barbusige Rihanna auf YouTube Trockenbumsen mit Rapper Drake vorführt, oder wenn Ihnen Heidi Klum im Fernsehen suggeriert, dass Teenagermädchen erst nach Überschreiten der Schamgrenze wirkliche sexy Models sind – es ist alles nur ein Foucault’sches Sex-Welt-Konstrukt. Und außerdem: Wer will schon wirklich dauernd schnackseln? Nicht mal Carrie Bradshaw. Und die lebt immerhin zwischen Sex and the city, immer auf der Suche nach Sinn und Sünde, Lust und Liebe im aufgegeilten Manhattan.

Und da wären wir schon bei Sex und stadtform. Und damit sind keine „Tits’n‘Ass“-Städterankings gemeint. Sondern, dass sich die über Jahrhunderte verordnete Wertvorstellung einer einzig richtigen Sexualität auch in unseren gebauten Städten zeigt, zum Beispiel darin, wie wir zwischen privat und öffentlich unterscheiden, was zu sehen geduldet wird und was wir lieber verstecken sollen und nicht zuletzt, welche Geschlechterrollen anerkannt sind und welche nicht. Das hat die große Judith Butler schon 1990 in „Gender Trouble“ eindrucksvoll zerlegt. Tja, it’s all politics! Jaja, ist ja gut, Jarosinski. Gerade der Gegensatz zwischen Öffentlichkeit und Privatem ist ein alter, nach Charles Taylor sogar einer der Eckpfeiler unserer modernen westlichen Gesellschaft – ein Modern Social Imaginary. Heim und Familie als individueller Rückzugsraum versus öffentliche Sphäre als Raum der Gemeinschaft. Beide sind bezeichnend für die Städte der Moderne. Und ihr Gegensatz wird stets neu verhandelt – gerade in diesen Tagen wieder aufs Intensivste, wenn über die Grenze zwischen zu viel und zu wenig Textil in Freibad und Einkaufsstraße gestritten wird. Facepalmen könnte man sich bei manchen Wortmeldungen zum Thema. Trotzdem: Dass es diese Debatten gibt, ist gut. Denn der öffentliche Diskurs verändert starre Vorstellungswelten. Let’s talk about sex, baby. So werden irgendwann auch die größten Gegensätze vereinbar: selbstbestimmte Sexarbeiterinnen, Pornos schauende Frauen, Hetero-Fußballer ohne Furcht vor Manndeckung durch schwule Kicker-Kollegen. So verändert sich die eine sexuelle Wahrheit und erzeugt ganz viele Sex and the city Realitäten. Denn Stadt ist nicht. Stadt wird. Da haben Urbanität und Geschlecht was gemeinsam. Und noch etwas verbindet Sex und Stadt. Im kapitalistischen Urbanisierungsprozess wird zur Mehrwerterzeugung ganz gezielt mit der Sexualität gespielt. Die allerorts sprießenden Hochhaustürme schreien nämlich nicht nur „Rendite!“, sondern sind für viele auch phallische Symbole wirtschaftlicher Potenz. Klar, dass es im globalen Standortwettbewerb dann nur mehr um eine Frage gehen kann: Welche Stadt hat den Längsten? Sieger im Längenvergleich ist allerdings immer der Kapitalismus, der schon am nächsten Riesenpenis baut. Gefallen muss uns der am Ende aber schon auch. Ästhetik spielt immerhin eine große Rolle bei der Sexualität. Aber wie sagt Jarosinski: „Let’s be honest: It’s all politics. The rest is aesthetics. Which is also politics.” Jede*r kann also die Realität von Sex und Stadt mitgestalten. Oder, wie es bei Salt’n’Pepa heißt: „Those who think it's dirty have a choice.“