[Titel] Stadt im Spiel [oder] (Das) Spiel mit der Stadt [/Titel]

von Loris Knoll

 

Die Vorstellungen von Stadtplanung und ihren Zielen, Prozessen und Ergebnissen, kombiniert mit den dahinterstehenden Werten, Wünschen und Interessen haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte stetig gewandelt. Kaum verändert hat sich hingegen, dass die Ergebnisse von Planung Emotionen erzeugen. Wenn wir durch die Stadt flanieren und sie auf uns wirken lassen, kreisen unsere Gedanken je nach Ort, Umfeld und dadurch variierender Stimmung manchmal darum, wie schön es sich in einem Dasein als Stadtmensch leben lässt, oder sie erzeugen am anderen Ende des Gemütsspektrums mitunter Ärger, wenn planerisches Fehlverhalten Urbanität zerstört hat oder für uns nicht nachvollziehbar ist. Dabei gibt es eine von gar nicht so wenigen Leuten erprobte Möglichkeit des Rollentauschs, welche die Planer- oder Bürgermeisterinnensicht ermöglicht: Computerspiele, die sich mit Stadtplanung beschäftigen, haben sich unter Strategiespielen aller Art immer wieder als überraschend beliebt erwiesen, unter ihnen besonders SimCity.

Welche realen Verhältnisse, Idealtypen, und Qualitäten von Stadt werden hier eigentlich digital vermittelt, wie sehen die Städte aus und welche Möglichkeiten der Planung hat man zur Verfügung? Und vor allem: Würden wir in so einer Stadt, die zum Gewinnen eines solchen Spiels errichtet werden muss, wirklich leben wollen? Schauen wir uns das einfach einmal an:

Schon zu Beginn fällt auf: Solche Spiele beginnen auf der grünen Wiese, die letztlich zugebaut werden soll, damit Menschen dort in streng voneinander getrennten Zonen wohnen, arbeiten, einkaufen und sich amüsieren können. Diese Menschen zahlen brav ihre Steuern und verlangen dafür entsprechende soziale und technische Infrastruktur, ansonsten protestieren sie auf der Straße oder ziehen weg. Im Vergleich zur Realität kann hier vom Reißbrett geplant werden, ohne Rücksicht auf Flora und Fauna, die im Spiel höchstens als nette Verzierung dienen. Im Vergleich dazu wird in realen europäischen Städten meistens nur rund ein Prozent des Bestands neugebaut. Da die Städte trotzdem wachsen, setzt man etwa auf Nachverdichtung durch Dachbodenausbauten, Füllen von Baulücken oder Neunutzung von Brachen. Widerstand aus der Bevölkerung ist oft nicht weit, weil die neuen Gebäude aufgrund von Höhe, Architektur oder generell polarisieren können. Und im Spiel? Da genügt ein Klick auf ein unerwünschtes Gebäude und schon ist es verschwunden. Wer dort gewohnt hat, ärgert sich kurz und zieht dann brav um. Dass sich so eine Vorgangsweise auch in der realen Welt durchsetzen ließe, wünscht sich vermutlich so mancher Spekulant. Denn Mieterschutz suchen wir im Spiel vergebens.

Wie nahe die Hochtrasse einer Autobahn direkt vor einem Haus vorbeiführt, interessiert hier niemanden, die Stadtverwaltung sieht keinen Lärmschutz vor und die Bevölkerung akzeptiert es ohne Widerspruch und mysteriöserweise auch ohne Gesundheitsfolgen. Da es sich um ein Spiel eines nordamerikanischen Computerspielverlags handelt, sind die Parallelen zur dort typischen Raum- und Siedlungsstruktur wenig verwunderlich: Straßen zählen grundsätzlich als Allheilmittel: Man baue ein Asphaltband und die Menschen werden es gleich begeistert mit dem Auto erobern, jenem Verkehrsmittel, das auch für die kürzesten Wege konsequent verwendet wird. Ist eine Straße im Spiel überlastet, verdopple man einfach die Anzahl der Spuren und das Problem scheint gelöst. Vielleicht ist diese fiktive Spielewelt Vorbild für so manche entscheidungstragende Person aus Politik und Verwaltung, wo nach wie vor versucht wird, Staus mit Straßenausbauten zu bekämpfen. Dass die Realität etwas komplexer ist, mehr Straßen das Autofahren attraktiver machen und so zu noch mehr Staus führen, wird im Spiel kaum vermittelt. Suchen wir die dortigen Alternativen zum Auto, finden wir keinerlei Fahrräder und auch Busse stehen nur für den Schulweg sowie in Form von zur Arbeit führenden Shuttlebussen zur Verfügung. Diese werden von höheren Einkommensschichten aber aus Prinzip nicht genutzt, was einiges über das Gesellschaftsbild im Spiel aussagt, wenn man an ein Zitat von Bogotás Bürgermeister denkt: „A developed country is not a place where the poor have cars. It's where the rich use public transportation.“ Erst wenn der Straßenverkehr im Spiel endgültig kollabiert, wird man gefragt, ob man vielleicht einen Bahnhof bauen möchte. In der neuesten Spielversion aus dem Jahr 2013 stehen sogar Straßenbahnen zur Verfügung, aber im städtischen Bereich erst wieder nur in Kombination mit einer wenig urbanen sechsspurigen Straße. Dass die strenge Nutzungstrennung massiven Verkehr produziert, wird nicht hinterfragt, an eine Stadt der kurzen Wege ist gar nicht erst zu denken.

Durch die völlig fehlende Fußgängerperspektive, genießt auch das Stadtbild keinen hohen Stellenwert. Die Architektur ist eher an der Vergangenheit orientiert, bietet wenig Raum für Zeitgemäßes und lässt den Historismus blühen. Zersiedelte Landstriche mit einfallslosem, rechteckigem Straßenraster gehören zum Standard. Immerhin wird berücksichtigt, dass durch verstreute Siedlungen das Leitungsnetz für Strom, Wasser und Kanal und die Bereitstellung von sozialer Infrastruktur aufwendig zu erhalten ist und hohe Kosten verursacht. In der realen Welt dürfte das so manchem Bürgermeister nicht bewusst sein, wenn er großzügig zersiedeltes Bauland widmet. 

Hinsichtlich der Bereitstellung von Infrastruktur wird im Spiel eine Strategie belohnt, zuerst Zonen für Gewerbe und Industrie auszuweisen, auf Steuern zu warten und erst dann für Schulen, Spitäler und dergleichen zu sorgen. Klassisch nach dem hinterfragenswerten Motto „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“. Jeden Mangel schluckt die Bevölkerung aber glücklicherweise auch im Spiel nicht widerspruchsfrei hinunter: Fehlt ein Grundangebot an Infrastruktur, kommt es schnell zu Protesten, bei denen die Menschen sicht- und hörbar auf die Straße gehen. Zueinander sind die Bürgerinnen und Bürger meistens friedlich, weder finden wir Nachbarschaftsstreitigkeiten, noch Neid oder Rassismus, sie leben allerdings in einer Stadt von totaler Überwachung, schließlich kann jede Person jederzeit aus der Ferne angeklickt und deren Gemütszustand, Tätigkeit und Wege im Alltag abgefragt werden. Diese Extremform einer völlig vernetzten Smart City ohne Privatsphäre hat auch den Effekt, dass Feedback, sei es Lob, Kritik oder Ärger, unmittelbar und direkt der Stadtverwaltung mitgeteilt wird. Diese kann dann je nach Amtsverständnis und Problemlösungskompetenz per Mausklick entweder den Missstand beheben oder das Haus eines Wutbürgers abreißen lassen.

Die Infrastruktur ist zwar in städtischer Hand, wird aber streng betriebswirtschaftlich geführt: Steuern und an Nachbarregionen verkaufte Ressourcen bringen Einnahmen, Bau und Erhalt von Infrastruktur technischer und sozialer Art führen zu Ausgaben. Wer im Minus ist, kann nichts mehr ausgeben oder es wird ein Kredit aufgenommen, der aber natürlich abbezahlt werden muss. Um die Infrastruktur gut in Schuss zu halten, reicht ein gewisses Budget, sie repariert sich dann anscheinend von selbst, denn Baustellen an Straßen oder Rohren samt Verkehrsbehinderungen oder dadurch entstehenden Arbeitsplätzen bleiben unsichtbar. Menschen mit hohem Einkommen ziehen automatisch in Villen, in die Bibliothek gehen interessanterweise jene, die sich in der Freizeit keinen Shoppingbummel leisten können. Letzteres ist in der Realität oft umgekehrt, wo Bibliotheken soziale Treffpunkte für interessierte Menschen aus der ganzen Bevölkerung sind, hingegen manche Einkaufszentren den öffentlichen Plätzen die Frequenz absaugen und von den davon betroffenen Menschen (teils freiwillig, teils alternativlos) als Ersatzaufenthaltsorte aufgesucht werden.

Dann wäre da noch das Thema Nachhaltigkeit, das heutzutage nirgends ausgeblendet werden kann. Gewisse Rohstoffvorkommen sind auch im Spiel begrenzt und müssen, wenn sie zur Neige gehen, aus anderen Regionen importiert werden. Auch die Verschmutzung von Luft oder Wasser durch die Industrie wird grafisch eindrucksvoll in abschreckenden Farben dargestellt. Das war’s dann aber auch schon wieder, denn alles, was sich in der realen Welt noch nicht sehr weit durchgesprochen hat, wird auch vom Spiel ignoriert: Da kommt es vor, dass eine Region finanzstark ist und Strom sowie Rohstoffe aus einer ärmeren Region importiert, welche davon lebt und dafür mit den Umweltauswirkungen des Lebensstils der reichen Region konfrontiert ist. Wie in der realen Welt ist vom Verursacherprinzip wenig zu sehen. Ähnliches gilt für weitere Aspekte: Externe Kosten des Verkehrs: Gibt’s nicht. Bodenversiegelung: Macht nichts. Keine vernetzten Ökosysteme: Who cares?

Neben SimCity gibt es auch zahlreiche andere digitale Planungsspielwiesen – wer ein progressives Planungsverständnis anwenden will, geht aber meistens leer aus. Anno 2070 vermittelt beispielsweise ein Zukunftsbild, das je nach Blickwinkel als Utopie oder Dystopie gesehen werden kann, wobei als Gebäude Wohnhäuser, Kasinos, Finanzzentren und Katastrophenschutzbauten zur Verfügung stehen. Je zufriedener die Menschen sind, desto mehr Steuern zahlen sie. Erfreulich ist zumindest, dass hier die Ökobilanz einen Einfluss auf das Spiel hat.

Der Blick über den Tellerrand misslingt in den Spielen noch stärker als in der Realität. Die Ränder einer jeden planbaren Region sind als schwarze Abgründe dargestellt und die Nachbarregionen sind fremd und unsichtbar, auch wenn man infrastrukturell miteinander vernetzt und voneinander abhängig ist. Zynische Menschen könnten eine Ähnlichkeit zur gegenseitigen Sicht von Wien und Niederösterreich auf das jeweils andere Bundesland in den Raum stellen. [Nächster Absatz („Unwirklich erscheinende…“) kann hier direkt drangefügt werden.]

Unwirklich erscheinende Situationen sind letztlich realer als man sie im ersten Moment einstufen würde, selbst wenn ein Monster wie Godzilla die errichtete Stadt in SimCity heimsucht und von den Häusern nur Trümmer übrigbleiben. Die simulierten Folgen in Form zerstörter Städte sind ähnlich jenen in der hiesigen Welt nach tragischen Naturkatstrophen.

Müssten uns solche Spiele also eigentlich frustrieren? Das liegt ganz an uns. Wir können sie auch als Zeitreise in alte Verkehrsplanungsepochen betrachten, die wir hoffentlich überwunden haben. Als Warnung vor einer völligen Überwachung, die uns vielleicht erst bevorsteht. Oder einfach als Spaß, der zwar nicht mit der Realität übereinstimmen muss, aber zeigt, dass mit etwas Motivation auch schwierige Situationen bewältigt werden können. Gegenüber jener im Spiel ist die reale Welt zwar deutlich komplexer, dafür stehen uns zusätzliche Trumpfkarten wie jene der Kreativität zur Verfügung. Ob Frust oder Begeisterung: Wie wir die virtuelle Stadt interpretieren und mit ihr umgehen, steht uns letztlich ebenso frei wie die Sichtweise auf unsere Städte der realen Welt.