Pause ist nicht das eine und nicht das andere, aber es ist auch nicht nichts. Es ist halt was, das wir brauchen, aber oft nicht schätzen, das wir manchmal machen, um irgendwas zu machen. Erst wenn es zu Ende ist, dann ist alles vorbei, auch die Pause.
Ende Februar sind die Bänke auf der Mariahilferstraße nicht einladend, zu kalt und zu voll die Piazza. Im Café Ritter deshalb noch kurz an den Fragen feilen. Am Nachbartisch besprechen österreichische Filmschaffende die abscheuliche Geringschätzung österreichischer Produzenten im Heute. Dem und dem und dem wird das Geld in den Hals (sie haben nicht Hals gesagt) gestopft, aber den 197 anderen? Grundtenor: Früher war alles besser. Keine Zeit für Wutbürger, gleich ist das Interview mit Roland Düringer. Aber apropos Film, eine Frage mit Film wär’ noch gut. Fertig. Zahlen. Raus.
Jetzt, abbiegen zum Stadtsaal. Die Menschen schieben sich hinter uns weiter in Richtung des schönsten Sonnenuntergangs den die Wiener später am Abend auf ihren social media Kanälen in diesem Jahr bisher sehen konnten. Probably the best you’ve ever seen, amazing. Der Eingang zum Stadtsaal ist eng und finster. Die Lampen tragen schon ihr Abendkleid. Roland Düringer ist gerade an unserem Photographen vorbei gegangen, unerkannt. Er trägt jetzt keine Perlen mehr im Bart, noch dazu, „ich hab mir den größer vorgestellt.“ Nein, das ist er schon. Ein ruhiger Herr Düringer schüttelt Hände, sagt mit überraschend leiser Stimme „Hallo“. Er ist kein Mensch, der den Raum betritt und ihn an sich reißt. Leicht gebeugt, aber neugierig nach vorne gelehnt steht er neben seiner Agentin, lässt sich vom Photographen hierhin, dorthin und noch einmal bitte vor den Vorhang stellen. „Tuts so, als würdets reden,“ aber er redet kaum und wenn, dann ohne Dialekt. Ja, er ist, anders als erwartet, ohne Gestik und Mimik, nichts Bekanntes, keine Ähnlichkeit mit auch nur einem von den zig Videos und Interviews. Die Figur Privatperson hat lediglich fortdauernd ein leichtes, verschmitztes Lächeln, eigentlich, mehr ein höflicher nach oben gezwickter Mundwinkel. Unerwartet, aber angenehm, nur hoffentlich bleibt das nicht so.
Letzte Photoeinstellung auf der Bühne. Fünf Stufen und mit jeder verändert er sich. Wenn er oben ankommt, ist er die Figur Düringer, ruft dem Tontechniker plötzlich laut, er würde kein Mikrophon brauchen, um den Saal zu bespielen, zu: „Heast, erinner’mich nochher on wos! … Wo soi i jetz’ hin?“ Er ist bereit und wir gerade etwas überrumpelt. Dem Zeichner von ORF III ist das alles egal.
x Ihr erster Gedanken, wenn Sie das Wort „Pause“ hören?
Pause ist ein Begriff, der erfunden wurde. Es gibt keine Pause. Es gibt auch in der Natur keine Pause. Ein Ende aber schon.
x Und jetzt einmal mit Nachdenken, wie definieren Sie Pause?
Ich bleibe dabei. Es gibt keine Pause, nur einen Zeitabschnitt, in dem ich etwas anderes mache. Wenn ich zum Beispiel Motorrad fahre und stehen bleibe, dann mache ich Pause. Wenn ich aber stehe, dann mache ich ja wieder keine Pause, weil ich stehe. Dann muss ich mich also setzen, aber dann ist es ja wieder das gleiche. Alles ist eine Tätigkeit, ein Übergang.
Zack. Düringer philosophiert die Definition von Pause. Treffer. Zufriedenes Lächeln á la, hättest dir nicht gedacht. Düringer regiert die Bühne und das Interview.
x Wann haben sie gefühlt das letzte Mal Pause gemacht, so im landläufigen Sinn?
Wenn ich auf der Bühne stehe und zwei Stunden spiele, dann ist das für mich Pause, weil mir keiner am Arsch geht. Hier bin ich in meiner Welt. Wenn ich später Bücher signiere, dann haben die anderen Pause, ich nicht mehr.
x Wovon muss jemand wie Sie überhaupt Pause machen?
Von nichts. (Sagt er so von der Frage überrascht, als wäre sie derart abstrus.) Es ist nur gut, manchmal den Betriebsmodus zu wechseln. (Selbstversicherndes Grinsen zur Bestätigung.) Wenn Sie Pause im klassischen Sinn definieren, mit Arbeit und Freizeit als Gegensatzpaar, dann habe ich mein ganzes bisheriges Leben pausenlos gearbeitet. Ich denke immer über meine Arbeit nach, ich bin ein Ideenumsetzer. Wenn Sie aber den Blickwinkel wechseln, dann können Sie sagen, ich habe noch nie gearbeitet. Das kann man sehen, wie man will.
Bisher ist es gut verlaufen. Der Interviewte ist zufrieden, weil die Antworten gut waren, der Interviewer aus dem selben Grund. Jetzt der erste Bruch. Wählen Sie, Herr Düringer!
x Hells Angels oder Gatschhupferverein?
Klar, Gatschhupferverein, weil damit bin ich aufgewachsen.
x Anekdote oder Witz?
Eher Anekdote … (Denkt kurz nach.) … wobei die auch zu einem Witz verkommen kann.
x Bühne oder Film?
Da treffe ich keine Entscheidung (Die erste Geste: er wedelt mit seinen Händen durch die Luft.), weil beides ist gut und das eine ist die Pause vom anderen.
x Lemmy Kilmister oder Ozzy Osbourne?
OK, wenn Sie mir das erklären. (Aber er wartet die Erklärung nicht ab.) Der Osbourne ist doch der von Black Sabbath, den anderen kenne ich nicht. Aber ich sage Ihnen, wer braucht schon Black Sabbath, wenn es Deep Purple gibt!
x Dienst oder Gefallen?
(Denkt nach, atmet ein und wieder aus.) Dienst ist wohl längerfristig, ein Gefallen, das ist so schnell erledigt. Langfristig ist der Dienst wohl besser.
Erledigt. Nicht lange gefackelt. Er weiß aber auch von vorhin, dass jetzt der erste Politikteil kommt. Er weiß das und sein Oberkörper geht nach vorne und seine Hände zum Tisch.
x Warum tun Sie sich jetzt die Politik an?
(Der Oberkörper geht wieder leicht zurück zur Lehne.) Die Frage ist falsch. Richtig müsste sie lauten: Warum tut sich die Politik mich an. Ich tu mir nichts an. Das ist nur ein Zeitaufwand. Ich tu niemandem einen Gefallen, aber ich biete einen Dienst an. (Hellwaches Grinsen, das zeigt, „Ich hör genau zu, was du da fragst.“, also frag nur weiter.)
x Sehen Sie Ihre Wutbürger-Rede heute positiv oder negativ?
Vollkommen wertfrei. In dem Kontext, in dem es stattfand, war es ein satirischer Akt. Was dann das Publikum und die Medien daraus gemacht haben, hat wenig mit dem Ursprung zu tun. Offenbar habe ich aber einen Nerv getroffen. Was mich wundert, das war 2011. Es hätte damals jemand reagieren müssen, wenn man an die Reaktionen denkt. Aber es ist so weitergegangen, als wäre alles gut. Aber die Wolke Wut steigt anscheinend mehr und mehr. Die wächst und wird von beiden Seiten genährt und ich will nicht dabei sein, wenn sie sich entlädt.
x Sie nennen Parlamentarier „Sklaven“, Reichsbürger bezeichnen den Staat als „Firma“. Wo ist da der Unterschied?
Zum einen, das sind wahrscheinlich Menschen, die Grenzexistentialisten sind. Die sagen, ich gehör da gar nicht dazu, zu dem Staat. Was haben die noch für Möglichkeiten. Die können entweder Drogen nehmen oder jemanden erschießen oder sich selbst. Da läuft nur noch der Kleinhirnmodus und der kennt Flucht, Angriff oder tot stellen. Reichsbürger sein ist dann wohl die Variante tot stellen. Aber man sollte auch fragen, warum das so ist. Das entsteht ja nicht aus Jux und Tollerei.
Zum anderen, wenn ich in das Konstrukt Partei einsteige, dann diene ich den Herrschenden, denen, die oben auf der Pyramide sitzen. Aber nur der oben entscheidet.
x Machen Sie G!LT für der Zukunft oder wegen der Gegenwart?
Die Zukunft ist weit denkbar, das ist jetzt nicht das kommende Wochenende, das ist noch gegenwärtig. Warum mache ich G!LT? (Denkt nach.) In der Gegenwart werde ich dafür belächelt, weil G!LT wird gegenwärtig bleiben. Langfristig aber wird das vielleicht ein Samen sein, der mehrere, unterschiedliche G!LT hervorbringen wird.
Es ist doch so, unsere Politik ist momentan eine 4-spurige Autobahn. Manche fahren rechts, manche links, aus Prinzip, die meisten in der Mitte. Dann gibt es noch ein paar Spinner, die fahren am Pannenstreifen und die ganz Irren sind Geisterfahrer. Wenn Sie aber in die Vogelperspektive wechseln, dann sehen sie neben der Autobahn einen Feldweg, auf dem ein Radfahrer dahinzockelt. G!LT ist der Radfahrer. Für die Politik existiert der Radfahrer nicht und für die ökonomische Vernunft gibt es nicht einmal den Feldweg. Und obwohl sich scheinbar alle darüber einig sind, dass das so ist, wird der Radfahrer, wenn mal Stau ist, gemütlich vorbeiradeln.
Jetzt hat er G!LT erklärt. Gut, dafür waren wir hier, das wollten wir ja von ihm selbst hören. Kurz, prägnant, wir haben es verstanden und das Autobahnbeispiel, eine schöne Sache. Wir werden dann gleich tiefer gehen, die Schrauben anziehen. Vorher aber noch, raus aus dem Konzept, aus der Comfort Zone der souveränen Antworten.
x Puch oder KTM?
Das ist leicht. Puch gibt es nicht mehr.
x Europa oder Wiener Wald?
Begehbar ist der Wiener Wald. Europa kann man später begehen, ist sicher auch schön.
x Carl von Clausewitz oder John Stuart Mill?
Die sind mir beide wurscht, weil sie keinen Einfluss auf mein Leben haben. Hätten Sie Old Shatterhand oder Winnetou gefragt, hätte ich es gewusst.
x ???
Winnetou natürlich.
x Alkohol oder Zigarette?
Bei mir geht nur Alkohol. Bei einer Tschick bekomm ich einen Hustenanfall. Bei Filmarbeiten hab ich immer so Rauchkräuter, sonst würd ich mich anspeiben. Saufen geht dagegen immer, tu ich aber trotzdem nicht immer.
x Marmelade oder Nutella?
Na, Marmelade natürlich
Scheinbar eine wirklich deppade Frage, aber man wird ja noch fragen dürfen. Außerdem, wir haben da noch ein paar mehr davon. Bei jeder der folgenden hatten wir im Vorfeld Angst, dass er uns aufstehen könnte. Die Marmeladenfrage hoch zehn quasi.
x Sie sprechen vom Hausverstand, Billa auch. Beim Billa soll ich eine Eigenmarke kaufen oder eben ohne Hausverstand ein Markenprodukt. In der Politik geht es um andere Fragen. Reicht da der Hausverstand?
(Leichtes Lächeln.) Der Hausverstand wohnt sicher nicht beim Billa. Dort finden Sie ihn nicht einmal, dort ist er ein Transportmittel für eine Kaufanregung.
Der Hausverstand ist die Sammlung aller Erfahrungen der Vergangenheit. Das kann bei jedem unterschiedlich sein, ist aber definitiv besser als googeln. Das Problem ist, wie auch bei Experten, wenn einzelne für eine große Gruppe eine Entscheidung treffen wollen. Ich muss aber sagen, im Flugzeug, wenn’s brennt, bin ich gegen die Basisdemokratie und für die Diktatur, des Piloten.
In der Politik ist halt die Frage, brauchen wir so viele, so komplexe Gesetze? Würde da nicht eine Basis reichen, an die sich alle halten?
x Was aber, wenn die nicht mehr reichen?
(Kein Lächeln.) Ja, muss denn alles so aufgebläht werden? CETA zum Beispiel. Kleinere Strukturen wären besser. Unser Anspruch an die Demokratie ist, dass sie effizient arbeitet und durch die Bevölkerung legitimiert wird. Wenn dann aber immer mehr mitreden und diskutieren, dann war es das mit der Effizienz. Und am Ende heißt es dann, eine Diktatur oder Technokratenregierung ist am effizientesten. Die machen Fakten. Bumm, bumm. Das will ich aber bitte nicht. Das Problem ist, dass das System in immer kürzeren Zeiträumen gefordert wird, immer effizienter zu entscheiden, was aber nicht geht. Deshalb wird uns das Ding um die Ohren fliegen und wir wieder in eine Diktatur zurückfallen. Es gibt da leider keine andere Möglichkeit, außer wir ändern unser Bewusstsein komplett. (Jetzt ist gerade keiner glücklich, auch nicht der ORF Zeichner, nur der Photograph, weil endlich sitzen wir einmal still.)
x Mit „Atompilz von links“ haben Sie dem Bundesheer ein Stück Seriosität genommen, was gut war, auch für mich, es hat mir halt fünf befohlene Rapporte eingebracht. (Ah, das gefällt ihm. Er lächelt, lässt eine Hand auf dem Tisch, stützt die andere auf dem rechten Oberschenkel ab.) Was, wenn das bei der Politik jetzt auch passiert? (Gefällt ihm jetzt weniger. Körper wieder zurückgenommen.)
Beim Bundesheer gibt es keine Ideologie. Die Frage danach stellt sich beim Heer gar nicht. Da gibt es Drill, Hierarchie, Struktur und keine Emotion. Da kannst du leicht drüber Witze machen, weil dir keiner böse sein wird. In der Politik aber, das ist ein Minenfeld. Da kann der eine heute etwas sagen und morgen meinen, er hat das gar nicht so gemeint. Da wird ja mit Emotionen gespielt. (Jetzt ist ihm etwas eingefallen, die Idee spiegelt sich in seinem aufhellenden Gesicht.) Ich bin in Favoriten aufgewachsen. Wenn meine Eltern nicht zuhause waren, hab ich nach Süßigkeiten gestirlt. In einer Schublade hab ich dann unten drunter das Bargeld, die Pornoheftln und das Parteibuch meines Vaters gefunden. Über alle drei Sachen hat man nicht gesprochen, dafür hat man sich geniert. Mein Vater wollte eine Gemeindebauwohnung. (Er lächelt verschmitzt, weil er weiß, kommt gut an, so ein Spruch. Ein bisschen Agent provocateur im Roten Wien.) Ich probier dem heute die Ernsthaftigkeit zu nehmen, noch ein kleines Stück halt mehr, als es die Politik eh schon gemacht hat. Politik ist heute ernstgenommenes Showbusiness.
x In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie immer vermieden haben von der Bühne herab Politiker zu zerkauen, jetzt sind sie selbst in der Politik. Machen Sie gerade Pause von Ihrem bisherigen Leben?
Nein, ich werde auch weiterhin keine Politiker namentlich lächerlich machen. Wenn einer sagt, „Die Politiker sein ollas Oaschlächa“, dann sag ich, „Geh scheißn.“
(Wir sind jetzt fertig mit der Politik. Es war, anstrengend, hat sich aber ausgezahlt. Netterweise hat er einmal gefragt: „Und sie können das alles so schnell mitschreiben?“ Es soll jetzt noch einmal kurz abgefragt werden, was die Person Düringer ausmacht. Licht in die Ecken des Menschen.)
x Schon mal daran gedacht, den Hippie Trail mit dem Fahrrad zu fahren?
Was mach ich denn dort, ich hab ja noch nicht einmal das ganze Waldviertel bereist.
x Schon mal eines Ihrer Filmzitate im echten Leben benutzt?
Na sicher, es war immer zuerst das echte Leben und dann erst im Film. Aber nachplappern hab ich als Kind gemacht, einmal bin ich sicher auch lässig wie Clint Eastwood aus dem Kino gestapft.
x Schon mal jemanden vernadert?
Als Kind, weil ich vollkommen moralisch davon überzeut war, dass es richtig war. Heut mach ich das aber nicht mehr.
x Schon mal in der Früh beim Duschen in die Dusche gepinkelt?
Nicht nur in der Früh, meine Katze aber sicher auch. Dafür hab ich aber noch nie aus der Muschel getrunken.
x Schon mal zur Pause gezwungen worden?
Ja, sicher. Goschn halten, auf gut deutsch.
x Lieber Pause oder radikaler Schnitt?
Pause ist immer besser, weil da kann man zurück.
x Was machen Sie, wenn Sie das gute Leben gefunden haben?
Geht’s besser als mein Leben? Ich bin 1963 in Wien geboren und kann machen, was ich will und davon leben. Ganz ehrlich, selbst wenn ab morgen alles gschissn ist, ist’s im Schnitt immer noch super.