Wasser macht glücklich 

Eine persönliche Reportage über New York Citys öffentliche Bäder - von Lisa Silbermayr


Mein persönlicher Traum, als Architektin einmal innovative Sozialbauten zu entwerfen und umzusetzen, scheint in diesen politischen Zeiten mehr als romantisch. Besonders in den USA. Gelegentlich tauchen aber in der Szene gleichgesinnter Architektinnen Perspektiven auf, die Hoffnung machen. Ein spannender Ansatz ist in der Architektur hinsichtlich ihrer sozialen, ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen zu betrachten. Im Sommer 2016 habe ich eine erstaunliche Entdeckung gemacht, die diesen Ansatz glorreich stützt: Public Pools. New York Citys öffentliche Bäder haben meine Lebensqualität exponentiell gesteigert, mich nachhaltig körperlich und mental gesund gehalten und sozialen Austausch gefördert, der sonst eher nicht zustande kommt. Die Freibäder regen zur Lektüre über Robert Moses, den berüchtigten Stadtentwickler New Yorks und seine schärfste Kritikerin, die Journalistin und Aktivistin Jane Jacobs, an. Die Geschichte der Pools reflektiert die Geschichte der sozialen Besetzung des öffentlichen Raumes. Sie sind die prachtvollsten Vertreter sozialer Architektur in der Stadt, die angeblich niemals schläft (was bekanntlich sehr ungesund ist). 


Sommer in der Stadt

Hier hört man im Sommer frühmorgens auf dem Weg zur Arbeit: »It’s like walking through soup!“. Genauso fühlt es sich bei 30 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent auch an. An einem Augustabend ist mir am Heimweg auf der 5th Avenue einmal ein junger Mann in Hemd und Krawatte mit seinem Aktenkoffer vor die Füsse gefallen: dehydriert. Die Menschen, die sich in New York wirklich IMMER allen Widrigkeiten zum Trotz in die Arbeit schleppen, erinnern mich gelegentlich an Zombies. »Bis zum Umfallen«, denke ich mir bitter-sarkastisch, wenn ich mit hundert anderen geduldig am U-Bahn Ausgang warte, um ins Freie zu treten, wo einem die heiße Luft entgegenschnalzt. Oft gesellt sich eine tiefe Sehnsucht nach Wien, der alten Donau, dem Kongressbad, dem Gänsehäufel oder Stadionbad, einer leichten Brise, barfuss auf Moos zu wandeln und neben Schwänen im Schatten eine Melange zu trinken dazu.


Eines Tages habe ich radikal um 17 Uhr den Schreibtisch verlassen, um mit einer Freundin aus Wien schwimmen zu gehen. Wir haben uns am Eingang des McCarren Park Pools, eines der 56 öffentlichen Bäder der Stadt, verabredet. Durch den gigantischen Backsteintorbogen ins öffentliche Freibad kommt man gratis – allerdings nur, wenn man alles Nötige vorweisen kann: ein Handtuch, Badekleidung und ein Schloss. Zwei Polizistinnen schieben Wache zwischen Pool und Eingang. Wenn man es geschafft hat, sich umzuziehen, seine Sachen in einem Kästchen mit dem mitgebrachten Schloss zu versperren, wird man noch einmal kontrolliert. Zum Pool darf man nur eine Flasche Wasser, ein Handtuch und ein weißes T-Shirt mitbringen, Literatur scheint geduldet zu sein. »Man müsste eine kleine Tasche mit Reißverschluss an das Handtuch nähen, um den Schlüssel vom Schloss zu verstauen«, denke ich mir, von meiner Umgebung zum Entwerfen angeregt.


Der u-förmige McCarren Pool misst 3500 Quadratmeter und ist zum Großteil nur 1,20 Meter tief. Durch Bojenketten werden einzelne Bereiche abgegrenzt. Es sind erstaunlich viele Rettungsschwimmer rund um den Pool stationiert. Safety first! In einem kleinen Bereich werden wirklich Runden geschwommen, im Rest des Pools wird gestanden und geplanscht. Rund um den Rundenschwimmerbereich liegen viele Junge, vorwiegend Weiße. Zwei Frauen unterhalten sich sogar auf Deutsch, daneben liest ein junger Mann ein französisches Buch. Ein paar Meter weiter ums Eck auf den Sitzstufen haben ein paar junge schwarze Burschen und Mädchen lautstark Spaß. Ich komme mit einer schwarzen Mutter ins Gespräch, die gelegentlich einem ihrer im Pool plantschenden Kinder etwas zuruft. Wie einfach sie glücklich zu stellen sind, dass die Kinder vom Wasser so schön müde werden und sonst kaum schlafen, viel Fernsehen, erzählt sie mir. Ich traue mich nicht zu fragen, wo die Familie wohnt, unter welchen Bedingungen sie leben, aber es ist  sehr offensichtlich nicht einfach und der Pool eine große Erleichterung. Von den Sitzstufen aus hat man einen guten Ausblick auf den monumentalen Eingang des Bades. Im Vergleich zu den New Yorker Gemeindewohnbauten, den »Projects« oder »Public Housing«, zu Deutsch öffentlicher Wohnbau, deren Architektur eine ein zu eins Umsetzung Le Corbusiers Villes Radieuse zu sein scheint, wirkt die Architektur der McCarren Park Pool Anlage würdevoll. Hier wurde in das Gemeinwohl investiert – mit Stolz. Der Staat hat hier prachtvolle Werke der Architektur für die Gemeinde, für alle New Yorker und New Yorkerinnen, gebaut.


Kühne Meisterwerke für die Gemeinschaft


Die öffentlichen Badeanlagen waren Robert Moses erster großer Streich. Der berühmt-berüchtigte »Master Builder« New Yorks hatte am Höhepunkt seiner Karriere gleichzeitig zwölf Ämter inne. Kein Adjektiv kann das Ausmaß seines Einflusses auf das New Yorker Stadtbild beschreiben. Seine Karriere begann Moses als Park-Kommissionär. 1934 konnte er seine Kollegen und Bürgermeister Fiorella von seinem Plan, öffentliche Bäder in bestehenden Parks zu bauen, überzeugen, mit dem Argument, dass das öffentliche Wildbaden gefährlich sei, nachdem drei Kinder aus der Bronx dabei ertrunken sind. Er konnte bei der baulichen Umsetzung auf große Summen staatlicher Gelder zugreifen. Zur Verfügung gestellt von der WPA (Work Projects Administration), der größten und ambitioniertesten  New-Deal-Agentur, die in die Errichtung öffentlicher Bauten und Straßen investierte, um Arbeitsplätze zu schaffen.


Über den McCarren Park Pool soll Moses gesagt haben, dass sein Design besonders kühn sein wird. Trotz der etwas militärischen Logistik am Einlass hat mich die Architektur des triumphalen Eingangsbogens an den Karl-Marx-Hof in Wien erinnert: eines der kühnsten Sozialbauprojekte seiner Zeit, vielleicht sogar der Geschichte. Im Sommer 1936, in der Zeit der Great Depression, wurden elf Pool Anlagen in  New York City eröffnet, darunter der Astoria Pool in Queens (die größte und berühmteste Anlage), Betsy Head in Brownsville und McCarren Park. An der Eröffnung des Thomas Jefferson Pools sollen 10.000 New YorkerInnen teilgenommen haben. Die Pools waren zu ihrer Zeit die modernsten öffentlichen Freizeitanlagen, State of the Art Design- und  Ingenieurskunst. Im Sommer 1936 sind bereits 1,79 Millionen New YorkerInnen in den neuen öffentlichen Becken geschwommen.


2012 wurde die McCarren Park Pool Anlage sogar für 50 Millionen Dollar von Roger Marvel Architects mit Geldern von PlaNYC renoviert. Mir fällt auf, dass sich heute, 2016, eine spannende soziale Mischung in dem gigantischen Becken und drumherum tummelt. Es ist ungewöhnlich, gemeinsam Freizeit zu verbringen und wirklich ins Gespräch zu kommen. Ich möchte New York nicht unrecht tun: ich denke, nirgendwo auf der Welt leben so viele unterschiedliche soziale Schichten und Kulturen auf engstem Raum friedlich neben (!) einander. 


Wer allerdings einmal so richtig aus seiner Blase auftauchen will, geht nach Brownsville schwimmen! Im Betsy Head Pool, ein paar Tage später, sind meine Freundin und ich lange die einzigen Weißen und Rundenschwimmerinnen. 


Integriertes Schwimmen


In der Progressive Era, vor der Great Depression, war Brownsville ein vorwiegend weißes, jüdisches ArbeiterInnenviertel. Mitte der 1930er-Jahre hatten sich auch viele AfroamerikanerInnen angesiedelt. Einen Pool gab es im Betsy Head Park schon vor Robert Moses. 1937 fiel diese Anlage aber einem Brand zum Opfer und man konnte ein von Grund auf neues Erholungszentrum bauen.


Robert Moses wird von seinem Pulitzer-Preis gekrönten Biographen, Robert Caro, oft als rassistisch-motivierter Planer beschrieben. Persönlich war er wohl auch ein Rassist. Es deutet aber nichts darauf hin, dass Moses mit den Pools Segregation fördern wollte. Es gab keine Hausordnung oder andere Regulierungen, wer die Pools wann besuchen durfte. Vielmehr scheint es so gewesen zu sein, dass sich, wenn dann, die Besucher selbst ungeschriebenen Gesetzen unterworfen haben, die eine Segregation der Rassen sichergestellt hat. 1941 war das Publikum des Betsy Head Pools ein Indiz progressiver Politik und der Pool das Zentrum der Gemeinde aus vorwiegend  links-gesinnten jüdischen ArbeiterInnen und frisch zugezogenen AfroamerikanerInnen aus dem Süden. Auf unveröffentlichten Fotos eines Artikels im Architectural Record von 1941 sieht man schwarze und weiße Buben und Mädchen gemeinsam im Pool. 


Wie auch heute ist es wohl eher so, dass die Badegäste die soziale Zusammensetzung der Gegend, in der sich das Schwimmbad befindet, reflektieren.  Die Geschichte des Badens in den USA ist auch die Geschichte der sozialen Besetzung des öffentlichen Raumes. Heute leben vorwiegend Schwarze in Brownsville, daher ist es nicht erstaunlich, dass sich kurz bevor das Freibad aufsperrt, außer mir und meiner Wiener Freundin, nur Schwarze vorfreudig anstellen und sich gelegentlich durch den vom Bad zur Verfügung gestellten Wasserschlauch abkühlen. An diesem Tag ruft ein Bub seinen Freunden zu »Let’s play Zombies!«, und ich schaffe es zum ersten Mal seit langer Zeit, meine Atmung meinem Schwimmtempo anzugleichen, was mich richtig euphorisch macht und mich nach wie vor freut.


Ich frage mich, was Jane Jacobs heute zu den New York Citys Public Pools sagen würde.  Sie hat Moses zurecht für sein radikales Vorgehen systematisch ganze Viertel niederzuwalzen, um seine moderne geordnete Vision der Stadt umzusetzen, kritisiert. Jacobs hat das Chaotische in der Stadt verteidigt und Moses vorgeworfen, er habe bestehende soziale Gefüge und die Funktionsdurchmischung komplett eliminiert. Das ist besonders bei den öffentlichen Wohnbauten immer noch ein Problem der Stadt. 

Bei den Schwimmbädern war das allerdings etwas anders. Sie wurden, wenn möglich, in schon bestehenden Parks errichtet. Auch wenn gemeinsames Schwimmen nicht gleich Einheit bedeutet, fördern die Pools einen sozialen Austausch und das soziale Gefüge eines Viertels. Vor allem aber sind sie ein demokratischer Ort.


Kann man die Badeanlagen, die unter Moses entstanden sind, als ein Beispiel dafür sehen, wie moderne Architektur eine bessere soziale Welt schafft? Oder macht Wasser nur einfach glücklich? Das hat Harry Glück, der Wiener Architekt, einmal fragend ausgesprochen. Seine Wohnbauten, zum Beispiel in Alt-Erlaa, wirken auf den ersten Blick etwas brutal, allerdings sind deren BewohnerInnen außerordentlich glücklich, unter anderem haben sie Zugang zu Schwimmbecken am Dach.


Wenn man Architektur hinsichtlich ihrer sozialen Auswirkungen betrachtet, dann bekommen die New York Citys Public Pools 10 von 10 Sternen. Ebenso in der Sparte Gesundheit. Bewegung ist gesund für den Körper, klar. Für mich persönlich ist Schwimmen aber vor allem gesund für den Geist. Ein Pool kann daher wie eine Art mentale Kläranlage für eine ganze Stadt funktionieren, was New York besonders braucht. So betrachtet, auch in der Sparte Ökologie 10 von 10 Sternen.


Die öffentlichen Bäder scheinen nicht unter so unfassbar großem finanziellen Druck zu stehen wie die öffentlichen Wohnbauten, die »Projects«. Sie werden auch von einer anderen Organisation verwaltet. Parkanlagen werden in amerikanischen Städten auch bis aufs Zahnfleisch von Interessensgruppen verteidigt, daher werden sie uns wohl noch lange erhalten bleiben.


Die Zeiten, in denen der Staat demokratisch für alle baute, sind allerdings vorbei. Es gibt kein Geld. So bald wird es also keine neuen öffentlichen Pools, mit gratis Eintritt für alle, geben. Ich arbeite aber weiter an der Umsetzung meines Traumes, obwohl einer der furchtbarsten Immobilienhaie New Yorks seit ein paar Wochen US-amerikanischer Präsident ist. Auf meiner Liste für den Sommer 2017 stehen noch 53 Bäder, in denen ich schwimmen möchte. Wer im Gänsehäufel über New Yorks Bäder, Robert Moses oder Jane Jacobs lesen will – hier sind meine Literaturempfehlungen:


Ein spannendes Graphic Novel über Robert Moses’ Karriere, unter anderem mit einer Zeichnung des McCarren Park Pools:

Christine Pierre; Balez, Oliver: Robert Moses – The Master Builder of New York.

Nobrow, 2016.

Die 10 Kilo schwere Pulitzer-Preis-gekrönte Biographie Robert Moses’:

Caro, Robert A.: The Power Broker – Robert Moses and the Fall of New York.

Borzoi, 1974.


Jane Jacobs’ Meisterwerk:

Jacobs, Jane: The Life and Death of Great American Cities.

Random House, 1961.


Ganz neu gesammelt: Gespräche und Interviews mit Jane Jacobs:

Jacobs, Jane: The last Interview and other Conversations. Melville House Publishing, 2016.


Ein ganzes Buch über die soziale Geschichte der Schwimmbäder in Amerika:

Wiltse, Jeff: Contested Waters – A Social History of Swimming Pools in America.

The University of North Carolina Press, 2007.


Architekturgeschichte at its finest:

Gutman, Marta: Race, Place and Play: Robert Moses and the WPA Swimming Pools in New York City. In: Journal of the Society of Architectural Historians. Volume 67, Number 4, December 2008.


Ein Artikel aus der Szene derer die sich mit leistbarem Wohnraum in der Stadt der Immobilienhaie befassen:

 Kubey, Karen: How to Judge an Icon: Via 57 West.  In: The Avery Review 20. December 2016.