Digitalisierung, Smartphones und die Stadt als Spielwiese


von Jonas Gläßer


Neulich öffnete ich eine Running-App auf meinem Mobiltelefon, um die Strecke meines bevorstehenden Laufs aufzuzeichnen. Die Anwendung fragte mich, ob ich damit einverstanden sei, dass meine zurückgelegten Kilometer gezählt und in einem Wettbewerb zwischen verschieden Städten angerechnet werden – in jener Stadt, in der die LäuferInnen bis zum Ende der Aktion die meisten Kilometer gesammelt haben, wollte der Anbieter einen kostenlosen Stadtlauf austragen. Ich erklärte mich einverstanden und lief eine Runde extra.

Der Wettbewerb, der bislang ein persönlicher zwischen mir und den Wegen entlang der Isar und durch den Englischen Garten in München war, wurde plötzlich zu einem Spiel meiner Stadt gegen andere Städte oder zumindest zum Spiel gegen viele andere Läuferinnen und Läufer. Auch manche Städte und Gemeinden nutzen inzwischen diese Art des interkommunalen gegeneinander Antretens, um die Leute etwa zum Fahrradfahren zu bewegen. In Tirol oder Vorarlberg können die Bürgerinnen und Bürger per Smartphone-App ihre Radstrecke aufzeichnen und so im Wettbewerb Kilometer sammeln. Dieses Muster taucht in letzter Zeit häufiger auf. Smartphones fordern einen dazu auf, die Stadt als Spielwiese zu nutzen und tragen eine Öffentlichkeit und einen Wettbewerb in Bereiche des urbanen Lebens, die vorher unumkämpft und persönlich waren.

Die klassische Schnitzeljagd, bei der man eine Markierung mit Kreide auf den Asphalt malt, wurde längst ins Digitale überführt und die tags (engl. Marke) werden inzwischen online und mittels GPS-Koordinaten hinterlassen. Während das sogenannte Geocaching meist auf kleine und private Initiativen zurückgeht, gibt es zunehmend auch größere Anbieter von Gastronomie- und Veranstaltungssuchmaschinen, die mit Standortdaten arbeiten und spielerische Elemente in den städtischen Alltag bringen. Oft geht es nicht nur darum, das beste Restaurant zu finden. Apps wie Foursquare und Swarm zählen die Restaurant-, Kneipen- und Diskobesuche ihrer NutzerInnen und verleihen jenen, die am häufigsten eine Lokalität besuchen, den Posten des Bürgermeisters. Der Smartphone-geleitete Ausflug in die Stadt wird dadurch zunehmend zum Spiel um Anerkennung und zu einem virtuellen Armdrücken. Tripadviser und viele andere Apps belohnen fleißige TouristInnen mit Badges für die virtuellen Fußabdrücke. Diese Stempel auf digitalen Stadtplänen leiten unsere sonntäglichen Spaziergänge, da die am häufigsten besuchten und am besten bewerteten Adressen der weiteren Nutzerschaft dieser Dienste natürlich bevorzugt empfohlen werden. Zugegebenermaßen ist dies nicht völlig neu: Auch ohne Smartphones gab es schon beliebte und weniger beliebte Orte, nur eben ohne das Zutun von Algorithmen.

Die Stadt wird zur Spielwiese und wir öffnen beim algorithmengesteuerten Running Dinner, auf das uns Facebook aufmerksam macht, nicht nur unsere Wohn- und Esszimmer und lassen so die räumlichen Grenzen zwischen öffentlich und privat verschwimmen, sondern stülpen durch die Offenlegung unserer Aktivitäts- und Bewegungsprofile auch ein großes Stück unserer nicht-physischen Privatsphäre nach außen. 

Der Smartphone-gesteuerte Alltag ist letztlich Phänomen und Antreiber von zwei zentralen Veränderungen in unserer Gesellschaft: Zum einen vermischt Technologie das Verhältnis von Öffentlich und Privat, wenn wir etwa auf Instagram mit unseren privaten Urlaubsfotos zu DarstellerInnen einer öffentlichen Diashow werden oder Situationen im öffentlichen Raum zu privaten Momenten machen. Wenn wir in der Straßenbahn Filme schauen oder den Arzttermin telefonisch von der Parkbank aus organisieren, machen wir einen Teil unseres privaten Lebens öffentlich. Dadurch, dass digitale Technologie hochmobile Lebens- und Arbeitsformen möglich macht, verändert sich zum anderen das Zusammenspiel von Arbeit und Freizeit. Wo ehemals eine klare Trennung bestand, findet nun eine Auflösung statt, die sich etwa in unsere Rolle als Gastgeber äußert, wenn wir dem Couchsurfer neuerdings Geld für seinen Aufenthalt auf der Luftmatratze über Portale wie Airbnb abknüpfen und ganz unvermittelt zu Tourismusdienstleistern werden.

Durch den spielerischen Umgang mit unserer urbanen Umgebung, durch die Vielzahl an Veranstaltungs-, Reiseführer-, Sport- und Gastroempfehlungs-Apps, sind wir einerseits in einem ständigen Wettbewerb, bei dem wir Bewertungen abgeben und Krönchen erhalten. Wir sind andererseits aber auch permanenter Teil einer Werbeveranstaltung, der wir uns aufgrund des ständigen Zugriffs auf diese Dienste kaum mehr entziehen können und kontinuierlich Daten liefern. Wir sind jedoch keine Sklaven der Technologie, sondern auch selbst an unseren Bewegungs- und Aktivitätsprofilen interessiert, liefern sie doch so etwas wie ein digitales Tagebuch.

Außerdem kann eine Augmented Reality – eine erweiterte Realität, die durch die Zusatzinformationen unserer Smartphones entsteht – als digitale Ergänzung unserer physischen Umgebung sehr verlockend sein und den Unterhaltungswert des Stadtspaziergangs steigern. So kann man mit Programmen wie Layar oder Google Gogggles die Umgebung abfilmen und die Apps sagen einem etwa, ob sich vor der Linse eine bekannte Sehenswürdigkeit befindet oder spielen den passenden Trailer ab, falls man das Gerät auf ein aktuelles Filmplakat richtet. Die Schichten des faktischen mit zusätzlichen Informationen – einer Art digitalen Hypertext – zu überziehen kann einerseits die urbane Erfahrung vorstrukturieren, es kann aber auch zu neuen Erfahrungen führen. Orte lassen sich leichter finden, wollen aufgrund kommerzieller Interessen aber auch leichter gefunden werden. Es besteht also die Gefahr, dass die digitale Vorstrukturierung die Chance auf Unerwartetes reduziert. Doch auch die digitale Unterhaltungsmaschine kennt noch den Zufallstreffer. Eine schnelle Suche bei Google oder Wikipedia kann gut veranschaulichen, wie einfach man auch in Datenbanken auf Irrwege oder aber zu neuem Wissen kommen kann. Wer zum Beispiel nach dem Wort Käfer sucht, um den Volkswagen zu finden, wusste zwar, dass damit auch eine Ordnung aus der Klasse der Insekten beschrieben wird, aber eventuell noch nicht, dass sich hinter dem Namen eine Münchner Feinkostkette, ein weiteres Auto aus der DDR aus dem Jahr 1958 sowie eine Übung zur Stärkung der Bauchmuskulatur verbirgt. Wie bislang ein vom Sturm verdrehter Wegweiser, kann auch zukünftig ein falscher oder unerwarteter Datenbankeintrag auf ungeahnte Pfade führen. Wenn wir etwas zu hastig die Trattoria Marinella suchen, kann es sein, dass die Autokorrektur daraus die Trattoria Mangia macht und wir am Ende des Tages nicht beim Stamm-Italiener im Viertel, sondern doch wo anders landen. Vielleicht schlägt der Suchalgorithmus aufgrund unserer in vorherigen Suchbegriffen geäußerten Affinität zu Käfern sogar den Weg ins Insekten-Restaurant vor – von dem wir vorher noch nicht einmal wussten, dass es existiert.

Das Smartphone als Endgerät der digitalen Informationsverarbeitung bringt in vielen Bereichen klar einen nützlichen Mehrwert in den städtischen Raum, stellt lokales Wissen zur Verfügung und kann es einfacher machen, mit der Anonymität der Großstadt umzugehen. Es birgt aber auch die Gefahr, dass der Raum zukünftig auf einer weiteren Ebene umkämpft ist, denn Standortvorteile übertragen sich auch in den virtuellen bzw. digitalen Raum und werden hier wertvoll. Uns sollte also bewusst sein, dass die Spur unserer digitalen Schnitzeljagd nicht vom nächsten Regen weggewaschen wird.

Kurzbiographie:

Jonas Gläßer studierte Politik und Soziologie in Würzburg, Hamburg und Warschau. Während des Studiums ist er erstmals mit sozialwissenschaftlicher Stadtforschung in Berührung gekommen und ist seitdem begeistert von Metropolenforschung und urbanen Transformationsprozessen. Momentan lebt er in München und promoviert dort im Bereich der Stadtentwicklung.