Ey, ich bin ‘ne Picknickerin, kein Scheiß, Mann

 


Als Kind war das erste Picknick ein anarchisches Ereignis – ob mit Eltern oder ohne – Küchen- und Vorratskammerinhalte wurden aus den Schränken gezerrt, gekochte Eier, Obst, Salate, Müsliriegel und Butterbrote in wahlweise Korb oder Rucksack gepackt und raus ging’s ins Freie. Am Boden auf einer Decke in der Natur essen, spielen und lümmeln oder ein Nickerchen machen! Ein Gefühl von wilder Freiheit, das den Sommer und die damit verbundene Eroberung des Draußen einläutete.  

 


Das Picknick in der Kunst


 Woher das Wort Picknick kommt ist bis heute nicht geklärt; es könnte eine Zusammensetzung aus den französischen Wörtern „picque“, was so viel bedeutet wie aufpicken oder aufspießen und dem Wort „nicque“ was „Kleinigkeit“ heißt, sein. Eine andere Möglichkeit ist die Kombination der englischen Wörter für „aufheben“ (to pick) und dem alten Wort für den Moment oder den Augenblick („nick“). Aber bereits bevor sich das Wort etablierte, gab es Essgelage im Freien. Schon Chretien de Troyes, der französische Autor und Begründer der Gattung des Höfischen Romans im Mittelalter beschreibt die Jause im Wald während der Jagd, und auf zahlreichen Gemälden wird diese Mahlzeit unter freiem Himmel gezeigt. Im „Buch der Jagd“ von Gaston III (1331-1391) gibt es zahlreiche Miniaturen. Eine von ihnen zeigt die „chasseurs faisant halte et se restaurant“ („Jäger bei der Rast und beim Picknicken“), in welchem noch eine strenge Gesellschaftshierarchie zu erkennen ist. 

    Der Feudalherr sitzt natürlich abseits von der restlichen Jagdgesellschaft. Im 18. Jahrhundert waren diese Darstellungen von Picknickgesellschaften hingegen etwas freier von Konventionen und Hierarchien und sehr beliebt – von Manets „Le Déjeuner sur l'herbe“ in dem zwei Herren mit ihrer unbekleideten Geliebten am Ufer der Seine ruhen, was natürlich einen Skandal auslöste bis zu Monets  gleichnamigem Nachfolgergemälde das eine légère Gruppe von gut gekleideten Menschen auf idyllischer Waldlichtung. 

Ein weiteres Kunstwerk des 19. Jahrhunderts ist Thomas Coles „The Picnic“ in dem eine gitarrespielende Figur, sprich das musikalische Element hinzukommt.

Die Picknickgesellschaft verteilt sich über einen größeren Raum an einem See. In Coles Darstellung kommt der Pichnickdecke die Rolle des Esstisches zu, jedoch ohne den Zwang, der fixen Positionierung um diesen. Die freie Entfaltung während des Essens im Freien wird hier sehr gut darstellt. 


Paneuropäisches Picknick


Wie die Fantastischen Vier um Thomas D. im Song „Picknicker“ in den 90ern schon bemerkten: „[…]so ein Picknick mit Familie im freien ist mir in diesem Fall ‘ne Nummer zu klein fein meine Familie muss grösser sein[…]“ ergo, Picknick muss nicht immer nur das Private sein. Im Sommer 1989 machte sich in der DDR eine Aufbruchs- und Revolutionsstimmung breit. Das kommende Ende der Sowjetunion flirrte schon in der Luft und hunderte Urlauber aus Ostdeutschland, die die heißen Tage in Ungarn verbrachten, wurden Zeugen und Teilnehmer eines historischen Ereignisses. An der Grenze zwischen Österreich und Ungarn sollte im August ‘89 eine Friedensdemonstration stattfinden, organisiert von dem CSU-Europaabgeordneten Otto von Habsburg und dem ungarischen Staatsminister und Reformer Imre Pozsgay: das paneuropäische Picknick. Dafür wurde bei Sopron für kurze Zeit symbolisch ein Grenztor geöffnet. Doch es blieb nicht beim symbolischen Charakter. Trotz der Bewachung durch bewaffnete Grenzoffiziere stürmten vorwiegend junge DDR-BürgerInnen  das Tor und flohen ins Burgenland, in den Westen, in die Freiheit – insgesamt waren es um die 600 Menschen. Die Grenzwache hatte keine wirklichen Anweisungen und so ignorierten sie die Masse an Flüchtenden einfach. Zwei Monate später spielten sich ähnliche Szenen an der Berliner Mauer ab, mit den bekannten Konsequenzen.

Das Picknick kann man für verschiedene Zwecke nutzen. In Berlin heuer schon zum elften Mal und inzwischen auch zum ersten Mal in Los Angeles wird im Sommer die „Lange Tafel“ aufgestellt. Kommen kann wer will. Es werden Themen wie Flucht, Vertreibung und Krieg besprochen und zwar durch das Instrument der „oral history“. Dabei kommen Menschen verschiedener Generationen und Herkunft zusammen, erzählen sich gegenseitig ihre Zeitzeugenberichte und tauschen sich aus. 

Eine unpolitischere Veranstaltung sind die Dîner en Blanc, Massenpicknicks die in den 80er Jahren von einem französischen Geschäftsmann erfunden wurden. Die Idee entstand, als Francois Pasquier soviele Freunde zu einer Gartenparty einlud, dass sie in einen nahegelegenen Park ausweichen mussten. Alle waren in weiß gekleidet und brachten eigenes Essen mit. Inzwischen werden die Dîners en Blanc auf der ganzen Welt an prominenten Plätzen veranstaltet. Zunächst galt das Event als Oberschichten-Veranstaltung, inzwischen ist die Gruppe der TeilnehmerInnen gerade auch im deutschsprachigen Raum gesellschaftlich durchmischt. 2012 trafen sich zum Dîner en Blanc 2000 Menschen verschiedener Schichten und zelebrierten ihr Picknick zusammen. 


Picknick als Ausdruck von Gemeinschaft und Genuss


Das ist im Großen und Ganzen auch das befreiende am Picknick. Man kann seinem Budget entsprechend einkaufen, man muss aber auch nichts essen und was vorhanden ist wird geteilt. Das Picknick ist in diesem Falle ein Gleichmacher, der Menschen zusammenbringt. Das Essen im Freien kann Menschen vereinen und eine friedliche Form der Demonstration sein, bei der der Genuss und die Gemeinschaft das Wichtige sind und nicht der reine Protest. In Sachsen zum Beispiel haben Bürger eine NPD-Demo „gestört“ in dem sie mitten auf dem Demonstrationspfad ein Picknick machten, so dass der weitere Marschweg abgeschnitten war. Denn wie soll man gegen friedlich futternde Bürger vorgehen, die weder Parolen schreien, noch Transparente erheben. Das Picknick ist die kleine noch friedvollere Schwester des Sitzstreiks.


Draußen vs. Drinnen


 Picknick bedeutet in jedem Fall eine Befreiung von Konventionen. Es gibt keine Tischordnung, man ist nicht räumlich begrenzt, nicht körperlich; auch nicht gesellschaftlich. Im Grunde hat jeder die Möglichkeit dazuzustoßen. Auch die Tierwelt ist oft beteiligt, sei es nun in Form von Pferden als Transportmittel, Hunden, die Frisbees jagen oder von Ameisen und Wespen auf Beutezug. Man ist der Natur zwar nahe aber ihr auch ein bisschen ausgeliefert. Gewitter und Regengüsse können dem Happening ein jähes Ende bereiten. Die Lust zum Picknick resultiert vermutlich auch aus dem Bedürfnis der Stadtflucht heraus. Aber auch in der Stadt kann man durch das Verlegen des Mittagessens auf eine Wiese naturhaften öffentlichen Raum einnehmen. In Wien wie vermutlich in jeder anderen Großstadt ist das aber dann doch nicht immer so einfach. Es gibt zum Grillen ausgewiesene Plätze, die man nicht verlassen darf und auf jeder Grünfläche der Stadt darf man seine Decke auch nicht ausbreiten. Vor allem in den Bundesgärten wie dem Volks- oder Burggarten und den Grünflächen der Gloriette ist es verboten sich niederzulassen (ältere Herrschaften scheinen es vor allem zu mögen von außen auf die freien Grünflächen sehen zu können). Das war vor einigen Jahren noch strenger. Erst 2007 wurde dieses Dogma etwas gelöst und heute dürfen ausgewählte Grünflächen betreten werden, zum tatsächlich erholenden Darniederlegen, nicht nur für‘s Auge. Wer seinen Fußball oder sein Fahrrad ausführen möchte, sollte das hier aber nicht tun. Ein unbefugtes Betreten oder Bespielen mancher Grünflächen kann bis zu 700 Euro kosten. Da wird unser anarchischer Freiheitsdrang wieder etwas gebremst. Zumindest so lang bis uns die nächste von vielen Erholungszweckwiesen auf ihren grünen Rücken lockt.

Picknicken ist also eine Form des Zusammenbringens von Menschen und der Regeneration. Erholung und Umbruch, friedlicher Protest und Festgelage, eine Möglichkeit der Wohnungs- oder Stadtflucht auch mit kleinem Budget, es bedeutet der Natur und seinem städtischen Lebensraum wieder näher zu sein. Manchem mag eine Laus über die Picknickleber laufen, der andere meint hingegen jede Mahlzeit schmecke im Freien besser. Wie, wo und aus welchem Grund man seine Jause einnehmen möchte, sollte jedem selbst überlassen sein - zwei Regeln gibt es aber zu beachten: Erstens das Aufräumen nicht vergessen und zweitens, brav zammessen, denn Diät ist Mord am ungegessenen Knödel.