Game Over – Das Ende der Verramschung?


Handyshop, Kebap-Standl und Wettbüro. Viel weiter kann das Niveau einer Einkaufsstraße kaum sinken. Nach dem Wegzug (vulgo: Wegsterben) alteingesessener Dienstleistungs- und Einzelhandelsbetriebe bleiben vielerorts nur noch die Billigläden übrig. Der Niedergang kann nur durch eines vollendet werden: Leerstand!

 


Mit einer Novelle des Wiener Veranstaltungsgesetzes besiegelte die Stadt Wien das Aus für mindestens 2.500 Glücksspielautomaten. Fakt ist: Seit 1. Jänner 2015 dürfen keine Automatencasinos mehr betrieben werden, obwohl einige Konzessionen noch bis 2020 und darüber hinaus gültig gewesen wären. Der Verfassungsgerichtshof hat diese Novelle mittlerweile bestätigt. Alles legal also! Die Wirren dieses Aktes sowie der gesellschaftliche Diskurs stehen ausnahmsweise nicht im Fokus, sehr wohl aber das Für und Wider seiner räumlichen Auswirkungen. Raumimplikationen. 


Als leidenschaftliche Stadtstrawanzer*innen machen wir uns im Zusammenhang dieser Gesetzesnovelle – ausgestattet mit Kamera und kindlicher Neugier – auf die Socken.

Wir wollen dokumentieren, was mit den physischen Räumen passiert, wenn ihnen die Nutzung quasi bei lebendigem Leibe entrissen wird. Um Eindrücke zu sammeln und den Antworten zu unseren Fragen näher zu kommen, haben wir im März 2015 die noch erkenntlichen Automatencasinos auf der Hütteldorfer Straße, der Linzer Straße und der äußeren Mariahilferstraße fotografiert. Genau ein Jahr später haben wir diese Adressen erneut besucht.

 

 (Was passiert mit den Geschäftslokalen? Neuvermietung vs. Leerstand // Was passiert mit der Bausubstanz? Sanierung vs. Verfall // Was passiert mit der Geschäftsstraße ? Belebung vs. Niedergang)


Fotos  und Adressen

Pro Straße 2 bis 3 Fotovergleiche


Beschreibungen unter die Fotos! Lager obwohl vorn Admiral draufsteht


Die Hernalser Bezirksvorsteherin (SPÖ) äußerte sich positiv über das Ergebnis der Gesetzesnovelle. Sie sei froh über die Schließung dieser Lokale, da sie die Geschäftsstraßen nicht mehr verschandeln würden. Doch de facto sind die meisten Spielcasinos noch da, nur eben geschlossen oder vom angrenzenden Wettbüro vereinnahmt worden. Die ehemaligen Automatencasinos kleiden sich mit neuen Gardinen: Plakate von Kulturveranstaltungen und neuen Investitionsmöglichkeiten in das Glück (Sportwetten) schützen die Räume vor schaulustigen Blicken.


Eine Frage, die wir uns beim neuerlichen Rundgang gestellt haben: Ist eine vermeintlich gesellschaftlich “schlechte” Raumnutzung besser als gar keine Nutzung?


Das Gesetz wurde verändert, ohne dessen Auswirkungen auf die Stadt und ihre Straßen zu bedenken, so erscheint es uns jedenfalls vorzukommen. 


Raum hat keine Lobby, obwohl dieser doch die Konsequenzen tragen muss. Also müsste im Interesse der städtischen Gemeinschaft ihre administrative Seite dementsprechend intervenieren.

Leerstand in Wien, einer prosperierenden Stadt, ist ein sehr ambivalenter Ausdruck. Während im Wohnungsbau die Begriff “Leerstand” fast keine Anwendung findet, ist der Büroflächen- und Geschäftsflächenleerstand ein benanntes und bekanntes Problem. Das ist das Ergebnis der spekulativen und ständigen Vermehrung an Geschäftsflächen. Der Leerstand in Wien ist also weniger ein Strukturproblem, sondern vielmehr ein Ergebnis der geschaffenen Standortkonkurrenz – bedingt durch den Wandel der Branchenstruktur, der Filialisierung sowie den neuen Shoppingzentren in der und am Rand der Stadt. Von der Rigorisität eine „bahnhofcity“ auszubauen und den Bahnhof  ein Jahr später zu schließen, gar nicht zu reden! Ist das das neue Verständnis von „City“?


Die verwaisten traditionellen Geschäftsstraßen im Zentrum sind zwar das traurige Sinnbild des gesellschaftlichen Wandels. Sie lassen aber eben auch unser Raumplaner*innen-Herz höher schlagen, denn Leerstand ist auch Möglichkeitsraum und somit potentieller Ort für Initiativen und Gemeinschaften. Der Bedarf für solche Möglichkeiten scheint aber nicht gegeben, oder vielleicht auch nicht gewünscht zu sein, wenn doch vorher auch nur Ramsch-Gschäftln die Bausubstanz vor Verfall “schützten”. 


Wünschenswert wäre die Schaffung eines neuen Wiener Bewusstseins in Bezug auf den Umgang mit Leerstandsflächen (auch positiv: Flächenreserven). Die Lust auf Neues und eine lebendige Erdgeschosszone sollten größer sein, als die Angst die (Zwischen-) Mieter*innen eventuell nicht mehr loszuwerden. 


Leerstand ist weder Restprodukt noch sollte es Ergebnis von Immobilienspekulation sein. Leerstand bedeutet generell eine Chance auf alternative Nutzungen, wie Wohnen, Kultur und Gemeinschaft. Leerstand heißt Platz für Neues und das ist in jedem Fall besser als Stillstand. 


Ist Leerstand also die bessere Alternative? 

Wie auch immer. Wichtig ist, was daraus entwickelt wird.

Mehr Infos und Beispiele:

Initiativen: 

Nest Agentur für Leerstandsmanagement

http://www.nest.agency/ 


Grätzlhotel

Zum Beispiel: http://www.graetzlhotel.com/de/karmelitermarkt.html 


Literatur:

Pespektive Leerstand

https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/studien/pdf/b008349.pdf 


Wer geht leer aus

http://www.igkulturwien.net/wergehtleeraus/ 


Julius Holländer, 26, arbeitet freischaffend für das Magazin Stadtform. Eigentlich studiert er aber Raumplanung und Raumordnung an der TU Wien. Er liebt das städtische Spazierengehen zu jeder Tages- und Nachtzeit. Immer mit dabei: seine Kamera. 


Julia Pelzl, 25, gibt gern ihren Senf dazu, mag aber nur den scharfen Senf. Sie studiert Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin, davor in Wien und Barcelona. 


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