Nacht ohne Nähe


von Karin Rick

 

Wir müssen uns die Stadt als Ort der Wandlungen vorstellen, eine Metropole in einer Tiefebene gelegen, die im Sommer sengend heiß ist und im Winter von eisigen Winden durchtobt wird. Die stoßen bis in die kleinsten Gassen vor und warten an jedem Eck, um dir unbarmherzig ins Gesicht zu blasen. Der Himmel verfärbt sich und wird schwarzblau, die Regierungsgebäude glitzern darin weiß wie schmelzende Schlagsahne. So der Winter.

 

Der Sommer bringt mit seiner Treibhaushitze allerlei Wucherungen hervor, Pflanzen schlingen sich um die Stadt und wachsen sie zu, so dass sie für alle, die ihre Gefilde betreten, desto mehr verschwimmt, je näher sie ihr kommen. Je mehr sie in sie eintauchen, desto ungenauer, konturloser wird sie. Sie wird durchwogt von feuchten, streifigen Schatten, die bald Zweifel darüber aufkommen lassen, wer und wo du eigentlich bist. Das beste Milieu, um Melissa hervorzubringen.  


Peter ist der Stadt hilflos ausgeliefert. Keiner, der vom Land kommt, findet sich hier zurecht. Sein kleines Bergdorf ist ganz anders. Dort sagt man noch, „ja, ja“, und „nein, nein“, es ist der Ort der schroffen, klaren Linien, in dem Vorurteile, Meinungen und Haltungen noch über Generationen unzerstört weitergegeben werden und die rauen Berge nur millimeterhohen Pflanzenwuchs zulassen. 

Melissa aber ist ein urbanes Dschungelgeschöpf, sie streift durch das Dickicht der Städte auf der Suche nach den Lichtungen, wo Sonnenstrahlen von der Oberfläche eines Tümpels oder eines Schwimmbades reflektiert werden, Lichtungen, auf denen sich die Farben ihrer Kleider kräftig bunt abheben und prunken und glitzern, Wasserstellen, um deren Ufer sie dann eitel herumstolziert. 

Peter holt Melissa am Schottentor ab und sie gehen zu Fuß ins Theater. Ein Stück der Festwochen im Museumsquartier. Sie bemüht sich, nichts Ungewöhnliches daran zu finden, dass sie mit ihm nicht vertraulich reden kann, während sie darauf warten, dass das Stück beginnt; wortlos neben ihm zu sitzen und schon zum dritten Mal das Programmheft durchzublättern. 


Sie sehen eine Performance, die ihre Beziehung spiegelt, die Leere, die Angst, beim ersten Besuch etwas falsch zu machen. Übereifer, zu hohe Erwartungen, belächelnswerte Bemühungen, zu gefallen. 

Genauso läuft es auch zwischen uns ab, denkt sie. 

„Da siehst du es wieder“, sagt er in ihre Gedanken hinein, „Zwei Menschen können einander nicht wirklich näher kommen. Bei dir fühle ich mich kein bisschen geborgen. Insofern hat der Schauspieler ganz und gar mich verkörpert.“ 

„Nein, mich“, ruft sie entrüstet aus. „Ich fühl mich so einsam wie er.“

„Da ist es doch besser, wenn man sich wenigstens auf einen Aspekt einigt, der funktioniert, und bei uns ist es eben Sex“, antwortet er. „Komm, wir gehen tanzen.“


Sie wollen ins Volksgarten Clubbing, erwischen aber den falschen Eingang zu einem Saal, in dem die Tanzschuljugend ihre Übungsrunden dreht und bleiben auf einen Drink. Nach einer Weile wagen sie sogar eine Rumba - zwei bunte Hunde, die, angegafft von allen, keinen der klassischen Schritte befolgen. Übertrieben heftig wirft er die Arme in die Luft. Unpassend und doch exzentrisch anziehend. 

Auch Melissa ist nicht zu übersehen, wenn sie tanzt. Sie zieht die Jacke aus, darunter trägt sie auf bloßer Haut ein durchsichtiges, schwarzes Netzhemdchen. Sie lässt Hüften und Brüste wippen. Immer wieder betrachtet sie sich im Spiegel an der Wand. In den Augenwinkeln sieht sie, dass auch er das tut. In dieser Bar mit dem Ambiente der Fünfziger Jahre, inmitten der unschuldig bemühten Tanzschüler glaubt sie noch stärker als sonst zu spüren, dass die Kluft zwischen ihr und Peter unüberwindlich ist. Wenn sie an Gefühle wie Verliebtheit glauben würden, könnten sie ein, zwei schöne Stunden hier verbringen. Aber nein, denkt sie, so etwas spielt es zwischen uns einfach nicht.

Ich wenigstens gerate hie und da in Versuchung zu schwärmen. Ich hätte mich mit ihm hier so gern gehen lassen und den kleinen Tanzschülern gezeigt, was Leidenschaft ist, hätte das Bedürfnis gehabt, mich vor allen Leuten an seinen Körper zu lehnen und mich von ihm küssen und anfassen zu lassen. Sie schiebt sich an ihn und klemmt sein Bein zwischen ihre Schenkel. Er weicht weg. 

Sie verlassen das Lokal. Draußen fallen sie übereinander her. An das schwere Eisengitter des Volksgartens gelehnt zieht er sie an sich. Sie tastet seinen Schwanz ab, der hart angeschwollen in der Lederhose liegt.

„Lass uns nach Haus gehen.“ 

„Geborgenheit kann ich dir nicht geben“, sagt sie, „dazu musst du dich erst selber lieben.“

„Ich liebe mich ja selber, ich bin ein Narziss, und du auch.“

„Ich?“, fragt sie bestürzt. 

„Ja du, deshalb faszinierst du mich ja so.“

In einem Anflug von Spott ahmt er ihre Tanzschritte nach. Ihre Bewegungen wirken jetzt, wo er sie mit Windmühlenflügelarmen imitiert, grotesk. Melissa erster Impuls ist, gekränkt zu sein. Der zweite, es nicht so wichtig zu nehmen. Sie lacht.  

Er schnappt sie und hebt sie auf seine Schultern.

„Das ist doch hoffentlich nicht der einzige Grund, warum du mit mir zusammen bist“, faucht sie von oben herab.

„Der Rest geht dich nichts an.“


Sie finden nicht zueinander, nur Sex ist immer möglich. Ohne viele Worte zu machen, weicht er mit ihr auf seinen Schultern vom Weg ab, in den dunklen Park hinein, und verschwindet in den Büschen. Ein zufällig vorübergehender Fußgänger sieht bloß eine überdimensional große Silhouette, ein Monster mit zwei Köpfen in der Fliederhecke. Peter lässt sie ins feuchte Gras gleiten und stellt sich über sie, blitzschnell hebt sie die Beine und schiebt die Füße in den Stöckelschuhen zwischen seine Schenkel, drückt auf sein Gemächt. Er keucht und reibt sich an ihnen. Sie schlingt die Beine um ihn und zwingt ihn zu sich hinunter. Nasse Lippen küssen sie, ziehen eine feuchte Bahn über ihre Brüste unter dem Netzhemd. 

Seine Berührung - eine Mischung aus Zupacken und übergroßer Vorsicht, da ihr Körper so viel zarter und kleiner ist, als seiner. Geilheit ist schnell da. Eine Ebene, in der beide wie unwissende Kinder aufeinander zu gehen, er wie ein kleiner, verschlossener Bub, der das erste Mal eine junge Katze oder einen Welpen im Arm hält. Und sie wie ein schlimmes, schmusendes Mädchen, das sich verbotenen Liebkosungen hingibt. 

Mit einem einzigen Ruck dreht er sie um und und presst sich an sie. Schmutzige Phantasien werden ausgesprochen. Sein Gefallen daran, sie wieder einmal sagen zu hören, dass sie ihn eines Tages übel zurichten werde, ist unerschütterlich. Auf diese Worte wartet er gierig. Sein Mund wird breiter, lüstern verzerrt, wenn sie sie sagt. Es gibt ihr einen speziellen Kick, diese kleinen, bösen Sätze auszusprechen, Sätze, in denen sie ihm ausmalt, wie sie es tun wird und was. Und er packt sie am Hintern, schiebt ihr die Hose runter und dringt in sie ein. 

Dieser Moment ist für sie der Erregendste, Schönste, wenn er sich von hinten in sie hinein schiebt und sie an einem fernen, tief in ihr liegenden Lustpunkt berührt, so dass sie vor dem Unvermeidlichen aufschreien muss, während er sie mit seinen großen Händen knetet, mit dem Finger den Kitzler rauf und runtergleitet. Er ist träge, dann wiederum ruckt er in schnellen Zuckungen in sie hinein, gefolgt von schweren Stößen. Der Höhepunkt durchschießt sie wie eine Entladung tausender Blitze. Für Sekunden ist sie wie bewusstlos, das Hirn durchgefegt, die Ekstase zieht sich bis in die Zehenspitzen, die blechernen Elektrobeats des nahegelegenen Clubbings, die der Wind in Fetzen heranträgt, dringen nicht mehr in ihr Bewusstsein. 

Er hält sie an sich gedrückt, liegt lange unbeweglich an ihr, bis sein Becken in der verebbenden Lust wie in Trance in zitternden Bewegungen ihren Leib berührt, als ob dies die einzig zulässige Annäherung an sie wäre.