Sex mit der Stadt

 

oder warum es den Geschlechtsverkehr zwischen Planung und Stadt nicht gibt

 

Schon klar, Sex mit etwas Fiktivem zu haben, geht nicht. In unserem Fall: Die Politik wird es nie mit der Stadtplanung treiben, erst recht und schon überhaupt nicht hemmungslos. Wo täten wir denn da hinkommen? Zur Befruchtung vielleicht sogar. Das wär doch arg. Aber als Gedankenexperiment ist es dennoch spannend, zuzuschauen, wie geil die Stadtplanung auf die Politik ist. Eine Hirnwixerei. 

 


Sex in der Stadt ist aller Wahrscheinlichkeit nach kein allzu seltenes Ereignis. Aber Sex mit der Stadt? Eine Übertragung des sexuellen Verhältnisses auf die Tätigkeit der Stadtplanung ist spätestens seit Freud keine Provokation mehr. Denn seine psychoanalytische These besagt, dass jede kulturelle Leistung – zu der zweifelsohne auch die Stadtplanung zu zählen ist –  auf einer sublimierten Form der Libido aufbaut, die untrennbar mit den Trieben der Sexualität verknüpft ist. Die Stadtplanung lässt sich mit ein wenig metaphorischer Verrenkungsarbeit als sublimiert-sexuelles Streben definieren, die ihre Befriedigung darin findet, die Mängel der Stadt aufzuheben. Doch nach dem Befriedigt-sein ist vor dem Befriedigt-werden. Das Besondere am sexuellen Verhältnis zwischen Planung und Stadt ist jedoch, dass die Planung nur in den allerseltensten Fällen vermag, die Stadt zu befriedigen. Oder anders formuliert: Was verhindert regelmäßig den befriedigenden Geschlechtsverkehr zwischen Planung und Stadt?


Die Antwort der Planung

Die Planung, mit dieser Frage konfrontiert, wiederholt immer nur Folgendes:  Immer, wenn sich eine sexuelle Vereinigung anbahnt, durchkreuzt ein Dritter die erotische Atmosphäre und lässt sie implodieren und diese abtörnende Störung tritt in Gestalt des politischen Entscheiders auf. Die Stadtplanung ist unmittelbar eingebettet in das Feld der Politik. Die Annäherung an die Stadt erfolgt auf Anweisung der Politik.


Es wäre für das Subjekt der (Stadt-)Planung zu verkraften, wenn ihr durch die Politik die Anbahnung an das begehrenswerte Objekt – die Stadt – von vornherein verboten sein würde. Das Gegenteil aber ist der Fall. Es ist die Aufgabe der Planung, geeignete Konzepte zur Vereinigung auszuarbeiten. Diese umfassen den Flirt – Grundlagenerhebung, wie die Stadtplanung sagt –, das  Ausmachen erregend-schöner Stärken und Potentiale, aber auch erregend-schauderhafter Schwächen und Risiken. Schnell fallen die ersten Hüllen, sensible Daten werden entblößt.


Das Begehren der Stadt nach der Planung ist abhängig davon, inwieweit diese ihr das Gefühl vermitteln kann, den Mangel aufzufüllen. Ist die Planung dazu in der Lage, so dauert es nicht lange, bis sich das erotische Geplänkel mit der Stadt zu einer handfesten Erektion auswächst. Endlich ist der Zeitpunkt gekommen, sich den einstudierten Schemata hinzugeben. Diese operationalisieren sich zu gekonnten Stellungstechniken, die Lust steigert sich weiter und weiter und findet ihren gebührenden Höhepunkt im Orgasmus. Ein unendlich befreiender, beglückender Zustand der Mangellosigkeit setzt ein. Die Anspannung lässt sofort nach, die Körper erschlaffen. Was zurückbleibt, ist die ejakulierte Idee, die sich in die Stadt lesbar eingeschrieben hat.

Doch der Moment des geglückten Spurhinterlassens, der geglückten Ejakulation, bleibt der Stadtplanung in der Realität meistens verwehrt. Denn schon zu Beginn, wenn die Erektion noch durch die bloße Vorfreude, die Stadt zu berühren, ein erstes Maximum erreicht, schiebt sich die Politik zwischen Planung und Stadt. Dabei erwischt die Politik die Planung mit der Stadt gar nicht in flagranti, hat sie doch die Begegnung zwischen Planung und Stadt selbst eingefädelt. Die Politik nimmt die Stadt auch nicht an der Hand, verschwindet mit ihr und lässt die erigierte Planung alleine zurück. Auch lässt sich die Politik nicht auf eine Schlägerei mit der Planung ein. Nein, nein, viel schlimmer: Die Politik setzt sich dazu und sprengt durch ihre obszöne Anwesenheit das erotische Verhältnis der Zwei, ohne es aber zu beenden. Im Gegenteil, sie verlangt, das erotische Spiel unter einer Bedingung weiterzuführen: Sie selbst darf entscheiden, in welcher Stellung der Geschlechtsverkehr zu erfolgen hat. 

Dass sich die sadistisch-egoistische Neigung der Politik kaum verleugnen lässt, belegt die Wahl jener Stellungen, in denen es unmöglich wird, die Stadt zu befriedigen. Der Geschlechtsverkehr verkommt zur Farce, zu einer widerwilligen Leibesübung, der ein Anorgasmus ein Ende setzt. Die Perversität liegt darin, dass sich das anorgasmatische Ende unter Vortäuschung eines geglückten Orgasmus löst, damit zumindest irgendjemand zufrieden ist: die Politik. Und sie entscheidet, ob sich die Planung wieder mit der Stadt treffen darf. Zurück bleibt eine Spur in der Stadt, ein gestaltloser Rest; mehr als Nichts, weniger als Etwas.

Doch die Planung gibt nicht auf. Das Streben nach einem weiteren Versuch steigert sich nach jedem misslungenem Versuch. Vielleicht ergibt sich einmal eine glückliche Fügung und die Politik gibt genau jene Stellung vor, die ihr zuvor die Planung nahegelegt hat. Die bisherige Erfahrung lässt  allerdings wenig Hoffnung. Um sich ihrer Macht zu versichern, muss die Politik zumindest kleine Details verdrehen. Aber der kleinste Verdreher reicht schon … Der Geschlechtsverkehr ist zum Scheitern verurteilt, weil die Politik die von der Planung vorgeschlagene, bestens durchdachte, erregungsaussichtsreichste Stellung nicht durchgehen lässt. 

So bleibt der Planung vorerst nichts anderes übrig, als es wieder zu versuchen und dabei immer wieder auf die spielverderbende Rolle der Politik zu verweisen. Mittlerweile ist daraus eine Ersatzbefriedigung geworden: Wenn schon der befriedigende Geschlechtsverkehr mit der Stadt aussichtslos ist, dann bleibt ihr zumindest die Rolle, das Übel der unbefriedigenden Situation schon ausfindig gemacht zu haben. Die Politik ist es, die das Feld des (unmöglichen) sexuellen Verhältnisses bestimmt, indem es die Entscheidung über die Wahl der Stellung trifft.


Es ist daher nur allzu verständlich, dass die Planung von einer Welt ohne Politik, von der Beseitigung der Politik, von einer selbstermächtigten Planung träumt. Denn damit stünde der Wunscherfüllung nach einer befreiten Sexualität nichts mehr im Weg. Endlich wäre der Weg frei für eine unerzwungene Sexualität.


Der Abgrund des Realen

Der Abgrund des Realen für das Selbstverständnis der Planung beginnt dort, wo ihr bewusst wird, dass die gelungene Vereinigung mit der Stadt in Abwesenheit der Politik keineswegs sicher ist, im Gegenteil. Die existenzgefährdende Einsicht, der destabilisierende Einblick, der die eigene Identität ins Wanken bringt, zeigt sich, wo ihr bewusst wird, dass die Wahl einer erregungsaussichtsreichen Stellung nicht ohne willkürliche Setzung funktioniert. Gerade die Ausschaltung der Willkür ist jedoch tief ins Selbstverständnis der Stadtplanung eingeschrieben. 

Wieso nicht? Die Totalität der Zielansprüche beinhaltet einander widersprechende Einzelziele, die sich nicht fritkionsfrei zu einem Ziel zusammenführen lassen, ohne dass eine solche Zusammenführung in eine abstrakte Allgemeinheit abdriftet, aus der sich keine konkreten Maßnahmen mehr ableiten lassen. Jede konkrete Verallgemeinerung aber setzt eine Priorisierung mancher Ziele und eine Marginalsierung des Restes voraus. Eine Setzung ist notwendig, um die Mannigfaltikeit der Zielansprüche zu einem Ganzen zu strukturieren. Diese Setzung selbst lässt sich nicht innerhalb des Stadtplanungsgegenstandes durchführen, weil der setzende Bezugspunkt nicht aus der Mannigfaltigkeit der Ziele abgeleitet werden kann. Ohne Setzung würde es nie zum Geschlechtsverkehr kommen, weil es zur Entscheidung, in welcher Stellung man es tun will, nie kommt.


Das Phantasma der in die Quere kommenden Politik hilft der Planung ihre Rolle zu akzeptieren. Die irreale Aussicht auf den geglückten Orgasmus sorgt für einen ausreichenden Abstand zum Realen. Denn wie schlimm würde es um die Identität der (Stadt-)Planung bestellt sein, würde sie bemerken, dass das äußere Hindernis der Politik(-willkür) nicht daran Schuld ist, dass sie ihre inneren Potentiale nicht entfaltet kann? Müsste die Planung ihre Identität innerhalb der zugewiesenen Position nicht radikal in Frage stellen, würde ihr bewusst werden, dass es den Geschlechtsverkehr mit glücklichem Ende nicht gibt, ja gar nicht geben kann, weil sie ihre eigenen Ansprüche unmöglich erfüllen kann? 

Nicht die Politik reduziert die Potenz der Planung auf ihr Minimum (Impotenz), sondern die Politik stützt die Illusion der Planung, dass es eine potente Planung hinter der Politikwillkür gibt. Die Planung will nicht wahrhaben, dass die Inkonsistenzen/Impotenzen sie selbst produziert. Dieses Nicht-Eingestehen eröffnet der Politik erst den Raum, der Planung in die Quere zu kommen. Ein selbstkonstruiertes Dilemma das der Planung hilft, die Hoffnung auf sexuelle Befriedigung nicht aufgeben zu müssen. 

Markus Karner,

Philosophie- und Raumplanungsabsolvent,

in der Ortsplanung tätig

markus_karner@gmx.at