Ring my Bell

  • Allgemein
  • Lisa Wachberger
  • 28.11.2016

 

Ring My Bell - Türen ins schwule Wiener Nachtleben
der 1980er - Ein fotografisches Memory von Martin Frey

"The night is young and full of possibilities 

Well, come on and let yourself be free"
(Anita Ward)

 

Im Wien der 1970er und -80er Jahre war ein pulsierendes Nachtleben, so wie wir es heute kennen, nicht existent. Es gab eine Handvoll klassischer Nachtclubs und Bars mit entsprechendem Rahmenprogramm. Diskotheken verlangten zum Teil horrende Preise für Eintritt und Getränke, verstanden sich als "Clubbetrieb", um das Publikum entsprechend selektieren zu können und zeichneten sich durch Dekorationen mit Plastikpalmen, Spiegeln und viel Messing aus. Einige Kaffeehäuser oder Gaststätten hatten bis zwei Uhr oder vier Uhr früh geöffnet und in ausgewiesenen Marktgebieten, wie zum Beispiel dem Wiener Naschmarkt oder am Brunnenmarkt, war es Lokalen gestattet, bereits in den frühen Morgenstunden für Marktleute und Nachtschwärmer zu öffnen - was letztere auch intensiv zu nutzen wußten.

Erst zaghaft entwickelte sich Anfang der achtziger Jahre eine Beisl- und Ausgehkultur, unter anderem durch die legendäre Eröffnung zweier Lokale am Rabensteig, im 1. Wiener Gemeindebezirk: dem krah-krah und dem Roten Engel, die den Grundstein legten für das Bermuda Dreieck, heute Wiens bekannteste Ausgehmeile (siehe Stadtform Nr. 1/2015: Martin Frey, Philipp Graf: Wien - Großstadt der Lichter?). Diese beiden Lokale waren Impulsgeber für einen daraufhin einsetzenden Beislboom, der in dieser Stadt ein völlig verändertes Ausgehverhalten mit sich brachte und "Ausgehen" per se als neue Kategorie der Freizeitbeschäftigung etablierte.

Um also interessante oder gar trendige Lokale im Wien dieser Zeit ausfindig zu machen, benötigte man in jedem Fall ein gewisses Maß an Insiderwissen oder Geduld. Am besten beides. Als schwuler Nachtschwärmer dieser Zeit empfahl sich darüber hinaus ein gehöriges Maß an Unerschrockenheit, eine gewisse Portion Neugierde, gelegentlich starke Nerven, aber immer ein kräftiger Daumen. Stand man doch in den meisten Fällen vor verschlossenen Türen mit Türglocke und Guckloch oder Türspion. Das Läuten der Glocke war das Ritual zum Einlass.

Betrachtet man Türen als eine Verbindung zwischen dem Außen und Innen, ihre Schwellen als Übergänge vom öffentlichen Raum ins "Private", so läßt sich durch das äußere Erscheinungsbild das dahinter zu Erwartende entsprechend repräsentieren, lassen sich im Idealfall Erwartungshaltungen, Versprechungen oder gar Verlockungen evozieren. Doch die Türen jener Wiener Bars, Lokale und Diskotheken, die sich ausschließlich an die schwule Zielgruppe der Stadt richteten, wirkten massiv, uneinsichtig, abweisend oder abstoßend. Fenster waren, wenn überhaupt vorhanden, verklebt, verschalt, vernagelt. Zugezogene Scherengitter dominierten tagsüber vor den verschlossenen Eingangstüren. Einige der Lokale befanden sich in Kellergeschossen. Stand man dann endlich vor einem dieser Lokale, war hinter den verschlossenen Türen zumeist gedämpftes Stimmengemurmel, Gelächter und Musik zu vernehmen. Anita Ward in geschlossener Gesellschaft.

Es war eine großteils versteckte und zurückgezogene Szenerie, die kaum ein Interesse an Öffentlichkeit hatte und unentdeckt und ungestört von der Außenwelt verbleiben wollte. Das in Österreich erst 1971 durch die kleine Strafrechtsreform aufgehobene gesetzliche Totalverbot von Homosexualität und die damit einhergehende extrem zurückhaltende gesellschaftliche Öffnung schien hier noch im Bewusstsein und Verhalten der Beteiligten nachzuwirken. Dementsprechend kurz war oftmals auch die Lebensdauer dieser Lokale, die manchmal schon nach wenigen Wochen oder Monaten wieder von der Bildfläche verschwanden.

Und fast jede Coming Out Geschichte dieser Zeit erzählt vom endlosen Kreisen um den Häuserblock, bis man sich überwinden konnte, die Türglocke zu betätigen oder sich schlussendlich unbemerkt einer Gruppe von Besuchern anschloss. Wer sich raus aus dem Schrank begeben wollte, fand sich vor verschlossenen Türen wieder und fand dahinter eine Parallelwelt und Szenerien vor, die oftmals genau dem entsprachen, vor dem die Eltern ihn stets warnten ...

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Die elf Fotografien der Serie Ring My Bell - Türen ins schwule Wiener Nachtleben der 1980er wurden 1989 mit einer analogen Olympus OM 20 Kamera auf Ilford HP5 Film aufgenommen. Es sind fotografische Skizzen von Eingangstüren zu Lokalen der schwulen Subkultur. Durch den open call von Stadtform wurden sie und damit zusammenhängend das Thema Ausgehen und schwule Subkultur im Wien der 1980er wieder zum Leben erweckt. Die Fotografien wurden auf einem High-End Scanner eingescannt und für die Ausgabe in Print und als Fine Art Prints digital nachbearbeitet.
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Martin Frey ist selbstständig tätig in den Bereichen Grafikdesign, Projektentwicklung und Urban Photography. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften und Publizistik an der Uni Wien. Zahlreiche dokumentarische und stadtforscherische Fotoprojekte über Wien in den letzten Jahren, u.a. über den Wiener Südbahnhof oder Portale alter Geschäfte.