Statt einer Reportage: Über die Unmöglichkeit des Flanierens in der Gasse

 

Georg Wolfmayr und Anna Eckert eignen sich wandernd Wien an und vereinen den flanierenden mit dem wissenschaftlichen Blick. Sie interessieren nicht unbedingt die bereits im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden, sondern die abseitigen, weniger bekannten Stadträume. Sie spüren Raumnutzungen und –bedeutungen nach, erkunden Bezüge zum Rest der Stadt und graben nach historischen Schichten der einmal gewesenen Metropole Wien.

 

In der Verlängerung der Gasse sitzen am Freitagmittag Menschen frühstückend im Café, so als sei es für immer Sonntag. Die große Platane breitet einen Halbschatten über die Gesichter, Pastrami-Sandwiches und die Einmach-Gläschen mit Guacamole. Wir könnten uns einfach dazu setzen und ebenfalls genießen, später ein bisschen umherschweifen … aber wir stocken und tun uns schwer.

Der Standard, der Falter und etliche andere Zeitungen und Magazine – alle sind schon einmal dagewesen und haben es benannt und bebildert: Der Gentry hat Einzug gehalten in der Gasse und in den an sie angrenzenden Straßen. Unzählige Berichte, Reportagen und Geschichten zeugen davon in kritischer und unkritischer Weise, Gentrifizierung verteufelnd oder als unvermeidbar erachtend. Uns zeigt sich hier noch etwas anderes, aber zentrales: die Unmöglichkeit des Flanierens. Denn nichts scheint sich uns zu befremden, die Distanz – notwendige Voraussetzung eines flanierenden Spazierens – fehlt. Alles schon in der Viertelbrandingmaschine gesehen.

Die Gasse ist also journalistisch abgefrühstückt und wir sind uninspiriert. Wie ist eine Gasse zu beschreiben, deren Abseitigkeit doch bereits so mannigfach popularisiert wurde und deren Ecken und Kanten selbst Teil der Inszenierung sind und als Ressource dienen? Was ist das, dieses Andere, als Spektakel und Differenzkapital? Eine Gasse, deren Graffitis nicht mehr von Protest, sondern von Kunst sprechen; deren rote Lichter nicht mehr von den längst unsichtbar gemachten Sexarbeiterinnen erzählen, sondern durchs Craftbeer durchschimmern; deren Lokale nicht mehr als verranzt und grindig, sondern als authentisch gelten.  

Es gibt eine Gentrifizierungsjournalismusfalle. Wer da drin sitzt, nimmt an »aufgewerteten« Straßen und Vierteln das Nebeneinander von Altem und Neuem wahr, als juxtaposition, und dies zeigt sich insbesondere in der visuellen Darstellung gentrifizierter Stadtviertel. Es fühlt sich seltsam an, in dieser Gasse ein Stativ aufzubauen auf der Suche nach visuellen Reizen. Hipster, Alteingesessene, MigrantInnen – das Triumvirat sanfter Überzeugung von Diversität. So wirkt Gentrifizierung als ein Zustand der Vielfalt und der Kreativität, nicht als ein Prozess, der auch ästhetisch zu Homogenisierung und symbolischer Gewalt führen wird.

Wie können wir Flanieren in einer Gasse, deren Begehung in Form von Start-Up-Walks selbst Teil der offiziellen Repräsentation ist? Deren Wege und Hinterhöfe nur erkundet werden wollen, weil dabei auch was rausspringt. Wo das Flanieren als Investitionsprojekt selbst dem Wahrnehmungsmodus des ökonomischen Zugriffs entspricht, das Bottom-Up des Gehens den Blick fürs Ganze versperrt? Wird hier Wesentliches nur durch die longue durée, durch den Blick auf lange Prozesse sichtbar? Was soll hier da bleiben und wofür? Für die weitere Aufwertung oder doch nur für die Konservierung des Bestehenden?

Die Gasse war bekannt als Einkaufsstraße, dann für ihren Leerstand und jetzt, in der zweiten Urbanisierung, dominiert hier erneut der Konsum. Im Prozess der Gentrifizierung dominieren derzeit gastronomische Betriebe. Beisl, Pizzeria, Weinlokal und mehrere Cafés. Sie bieten Craftbeer, rumänische oder Wiener Küche an. Lärm ist (noch) kein Problem. Dazu Parteizentren, Frisöre und religiöse Einrichtungen. Die Pioniere der Gentrifizierung haben sich dazwischen niedergelassen in Form eines Straßenvereinslokals, einer Galerie, eines concept stores, Wein- und Bierhandel gibt es auch. Sie locken andere, neue, weitere an und versuchen die Gasse als ein Grätzl zu labeln.

Nur das Banale, das Gewöhnliche und die Routinen halten Stellung und haben den Geruch des Charmelosen, sie sperren sich, sie wehren sich – die langweiligen Fassaden jener Häuser, die erschreckend funktional gebaut wurden; die hässliche Garageneinfahrt, die sich gegen die Fußgängerzone sträubt; die uniformen Stühle, die gestapelt angekettet wurden oder das Lebensmittelgeschäft, eine Filiale von hunderten des gleichen Designs. Erleichterung macht sich breit, dass nicht alle Gebäude die nötige Materialität für eine Ästhetisierung bieten. Manche Lokale stehen leer, die Dachgeschosse der Häuser sind nicht ausgebaut. Auch nur eine Frage der Zeit, bis das der neue Chic wird?